Die Fastenzeit hat begonnen und wir sind eingeladen, etwas wegzulassen, uns zu beschränken. Geht es beim Fasten ursprünglich darum, dem Körper durch andere Ernährung einen Reinigungsimpuls zu schenken, kann Fasten mittlerweile auch als digital Detox daherkommen oder generell als bewusstes Verzichten auf Konsumimpulse. Gleichzeitig steckt in diesem bewussten Weglassen für mich auch die Einladung, mein Augenmerk darauf zu richten, was ich eigentlich wirklich brauche. Im „Wenigen das Wesentliche“ zu erkennen, wie John von Düffel es in seinem gleichnamigen Stundenbuch so wunderbar poetisch beschreibt. Wenn wir uns vom Unwichtigen lösen, so ungefähr drückt er es aus, dann ist der „Verzicht“ eine Befreiung. Gemäß der Unwichtigkeit all der Dinge und Ebenen lösen wir uns von Abhängigkeiten. Abhängigkeiten, die wir erst erkennen können, wenn wir dem Wenigen bewusst Raum geben – dem selbst gebackenen Brot oder dem tiefen Atemzug am Morgen.

Diesen Beitrag zu „Verzicht“, der zuerst auf den „newslichtern“ veröffentlicht wurde, habe ich übrigens bereits 2023 begonnen. Anlass war eine Kampagne der DBU, der Deutschen Buddhistischen Union, die Bettina auf den Newslichtern geteilt hatte (https://www.newslichter.de/2023/08/wir-sind-fuer-den-klimaschutz-zu-wandel-und-verzicht-bereit/). Es war ein offener Brief an Herrn Scholz, der erklärte, dass die Mitglieder der Union im Hinblick auf den Klimawandel bereit sind zu Wandel und Verzicht. Und diese Bereitschaft politisch eingefordert sehen möchten, denn ohne Selbstbegrenzung könne eine gute Zukunft nicht möglich sein. Damals las ich diese Überschrift und spürte ein dickes, fieses, klumpiges NEIN in mir aufsteigen – nein, ich bin nicht bereit zu verzichten. Nein, ich bin nicht bereit, der jahrtausendealten Geschichte des Mangels noch ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. Nein, ich glaube nicht, dass wir die Welt retten, wenn wir nur noch kalt duschen und unsere Familien in den USA nicht mehr besuchen, weil wir unter akuter Flugscham leiden. Und ich bin auch nicht bereit, mich zu schämen, wenn ich mich im Sommer an Sonnenschein und 32 Grad LUFT-Temperatur erfreue. Mein Ego ging in den Widerstand und verschränkte die Arme, weil es in den Verzichtaufforderungen, die damals durch Politik und Medien geisterten, vor allem einen Schiefstand wahrzunehmen glaubte – was wollen die mir von Verzicht erzählen, dachte ich.

Da wollte ich lieber kein anständiger Mensch sein und statt zu verzichten die Fülle genießen. Die Fülle meines bunten Kleiderschranks, der durch frühere Shoppingtouren und vermeintliche Onlineschnäppchen so gut ausgestattet ist, dass ich nichts Neues mehr kaufe und mich an den alten Schätzchen erfreue, die plötzlich wieder zu Ehren kommen dürfen. Die Fülle eines Vollbads – wenn mir danach ist; einer langen heißen Dusche, wenn ich friere. Die sehr seltene Freude, ein Stück „gutes“ Fleisch zu essen, wenn mein Körper signalisiert, dass er mal wieder „Fleischeslust“ hat. In all diesen und unendlich vielen weiteren Fällen einfach ganz bewusst das tun zu dürfen und zu können, was sich richtig anfühlt: Dieses enorme Privileg zu erkennen und zu genießen – das ist ein unermessliches Geschenk. Wozu sind wir hier auf der Erde – wir sind Leben, das leben soll, wir sind Schöpfung, die die Schöpfung genießen soll. Auskosten – in aller Herrlichkeit feiern. Ich will eine Tulpe in eine Vase stellen und bewundern dürfen, in der Idee, dass ich damit die Bestimmung dieser Blume vollende – wurde sie nicht geschaffen, um mit ihrer Schönheit und ihrem Duft zu beglücken? Ihre Anblick macht mich fröhlich. Soll ich das lassen, nur weil Schnittblumen nicht mehr politisch korrekt sind, weil ich sie den Hummeln wegnehme?

Verzicht macht eng – wenn er aus einer Sichtweise des Mangels verstanden wird. Ich lehne etwas ab, das ich eigentlich gerne hätte. Das ich brauchen würde. Ich entsage. Askese. Buße. Kasteiung. (Klingt irgendwie alles sehr nach Mittelalter, oder?) Etwas ganz anderes ist es, wenn wir sagen: Danke. Ich brauche nichts. Ich habe von allem genug. Um mich herum ist alles, was ich benötige. Überreich. Überreichlich. Überwältigend.

Im Wenigen finde ich das Wesentliche – es genügt. Ich werde genügsam.

Bitte versteht mich nicht falsch – ich meine wahrscheinlich genau das gleiche wie die engagierten Menschen bei der DBU – ich möchte es nur anders verstanden wissen, möchte einen Perspektivwechsel anbieten. Wir könnten doch auch in Kanzlerbriefen eine andere Geschichte erzählen, die der Fülle? Ich jedenfalls möchte mir diese Geschichte gerne öfter erzählen – eine Geschichte, in der ich so wie ich bin, perfekt bin und mich nicht konsumierend ablenken, belohnen oder aufwerten muss. Das wäre eine Geschichte, in der es hell ist und offen und in der es Wege gibt, keine Sackgassen. Eine Geschichte, in der meine Zufriedenheit und mein sattes Lebensgefühl dafür sorgen, dass die Welt ein Stück schöner wird. Ich sehe es so: Um die immensen Krisen, die sich jetzt schon abzeichnen und all die, die noch kommen werden, bewältigen zu können, benötigen wir als einzelne und als Gemeinschaft alle Kraft, die wir aufbringen können, allen Mut und alle Energie. Also müssen wir im übertragenen Sinne satt sein, magensatt und herzenssatt. Mein Vorschlag wäre also, dass wir auf den schalen Verzicht verzichten und stattdessen unsere Augen öffnen, um uns ganz bewusst an der Perfektion eines Apfels, der Schönheit einer Getreideähre oder dem Duft des Partners an dieser ganz bestimmten Stelle hinter dem Ohr zu erfreuen.

Gedanklich kann ich all Eure Einwände hören, sie sind laut und vielfältig. Ihr fragt, ob es nicht naiv und egoistisch ist, sich zu freuen, während andere leiden? Ist es nicht vermessen, von vollen Kleiderschränken zu schwadronieren und teures Biofleisch zu goutieren, im Wissen, dass nur ein paar Straßen weiter Kinder nicht satt werden? Ich glaube, dass jede/r einzelne von uns diese Gewissensfragen für sich beantworten muss und gebe zu bedenken, dass Verzicht alleine niemanden satt macht oder dafür sorgt, dass ein Krieg aufhört. Und ich glaube in der Tat nicht, dass wir den Klimawandel stoppen könnten, indem wir alle und weltweit unsere CO2-Fussabdrücke auf null reduzieren und ansonsten weitermachen wie bisher. Solange wir den Planeten als Wertstofflager und Müllkippe gleichermaßen verstehen. Solange wir glauben, es wäre gerecht und richtig, dass es Menschen gibt, die ausbeuten und solche, die ausgebeutet werden. Wir stehen nicht über der Natur, wir sind Teil und können uns nicht herauslösen, so sehr wir uns auch technologisch und transhumanistisch bemühen. Mit diesem Verständnis einer Welt, in der alles mit allem verbunden ist, könnte ein Familienfest mit vielen Menschen, die von überall auf der Welt anreisen, um sich aneinander und miteinander zu freuen mehr für eine bessere Welt tun als 30 eingesparte Transatlantikflüge. Was meinst Du?

Das Buch von John von Düffel heißt „Das Wenige und das Wesentliche“ und du kannst es hier anschauen. Ebenfalls zum Thema passt „Echter Wohlstand“ von Vivian Dittmar – hier.

Und auf der Seite der Newslichter findet sich unter dem Beitrag noch ein sehr schöner Austausch in Kommentaren: https://www.newslichter.de/2025/03/fastenzeit-verzicht