Beobachte dich einmal dabei, wie oft du etwas „musst“. Ich muss noch schnell …, Ich müsste eigentlich noch … Schätzungen zufolge verbringen wir 80 Prozent unserer Zeit damit, Dinge zu „müssen“. Und wir sind sprachlich mittlerweile so geeicht, dass wir auch „müssen“ sagen, wenn wir eigentlich „wollen“. Dann sagen wir so etwas wie „Am Wochenende müssen wir mal wieder wandern.“ Geht’s noch? Hier kann ein wirklich großartiger Wandel ansetzen, wenn wir das Wort „müssen“ aus unserem Sprachsatz tilgen. Wenn wir aufhören, „müssen“ zu sagen, hören wir nämlich auch auf, „müssen“ zu denken. Dann gedeiht langsam ein Gefühl für unsere Bedürfnisse, für das, was wir wirklich müssen und für das, was wir eigentlich wollen.

Au ja, nur noch rumliegen. Großartig!

Nein, wir liegen nicht auf dem Sofa und lassen uns gegrillte Tauben in den Mund fliegen – darum geht es nicht. Der Wandel vom Müssen zum Wollen ist nicht das Abstoßen aller ungeliebten Tätigkeiten. Es ist etwas anderes, nämlich die kleinteilige und sehr genaue Betrachtung aller vermeintlichen Verpflichtungen und die bewusste Entscheidung, sie aufzugeben oder weiterzuführen. Und wenn ich sie dann immer noch weiterführe, dann weil ich es will und nicht, weil ich es muss.

Schrittweise bastele ich mir mein Wollen zurecht

Schauen wir uns den Prozess mal ganz konkret an: Bei vielen, vielleicht den meisten Tätigkeiten, Problemen, Pflichten in unserem Leben gelingt es, mit etwas Nachdenken und einer anderen Perspektive, aus dem Müssen ein Wollen zu machen. Das kann allerdings bedeuten, dass das Wollen nur daraus entsteht, dass jede Alternative schlechter ist. Es funktioniert ganz einfach – ich schnappe mir jedes einzelne Müssen in meinem Leben und schaue mir die Alternativen an – was passiert, wenn ich es „einfach“ nicht mehr tue, es auf eine andere Art tue, es delegiere, aufteile, um Hilfe bitte … Und wenn ich es dann nach diesem Prozess genauso weiter mache wie vorher, dann habe ich mich aktiv und bewusst entschieden. Was passiert, wenn ich meine Steuererklärung nicht mehr mache? Ich kriege erst Ärger, dann teuren Ärger, dann richtig teuren Ärger. Also investiere ich in Frieden und Freude, indem ich in den sauren Apfel beiße und die Steuer mithilfe eines freundlichen Steuerberaters mache. Dann ist aus dem Müssen ein Wollen geworden, weil jede andere Lösung unattraktiver für mich ist, mehr Stress, weniger Geld, weniger Freude, längere Wege und so weiter bedeuten würde. Ich tue also etwas, dass sich im Moment nicht so gut anfühlt, das aber langfristig gut für mich ist oder für meine Mitmenschen – so mache ich aus meinem Müssen ein Wollen. Der bekannte Coach Tony Robbins drückt diese Vorgehensweise so aus:

  • Die beste Art meine Bedürfnisse zu befriedigen besteht darin, etwas zu tun, das sich gut anfühlt und gut für mich selbst ist und auch gut für die Welt um mich herum.
  • Die zweitbeste Art, Bedürfnisse zu befriedigen, besteht darin, etwas zu tun, das sich nicht gut anfühlt, aber gut für mich ist und auch für die Menschen um mich herum.

(Im Alltag neigen wir zur dritten Art, wie Dami Charf in ihrem Buch „Auch alte Wunden können heilen“ (Verlag Kösel, 2018) schreibt: „Wir tun etwas, das sich gut anfühlt, das aber nicht gut für uns ist.“)

Das gelernte „Nein“

Auf dem Weg vom Müssen zum Wollen dürfen wir dann „leider“ auch lernen, all das gesellschaftliche Müssen, das uns in Konventionen und Gewohnheiten begegnet, abzulehnen. Zum Beispiel: Du musst dich mit alten Freunden treffen, weil das schon immer so war. NEIN. Warum, wenn du nicht willst? Du musst der Nachbarin zuhören, wenn sie von ihrem Urlaub erzählt, obwohl du es eilig hast? NEIN. Du darfst sie freundlich unterbrechen und ihr vorschlagen, dann zuzuhören, wenn du mit ganzem Herzen zuhören möchtest. Vielleicht entspannt bei einer Tasse Tee?

„Nein“ zu sagen, ist ein wichtiger Schritt, um vom Müssen zum Wollen zu kommen. Denn es ist niemandem damit geholfen, wenn wir Dinge halbherzig machen, nur weil wir uns nicht getraut haben, „Nein, ich habe keine Zeit“ oder „Nein, damit kenne ich mich nicht aus“ zu sagen. Oder wenn jemand bei einem netten Treffen miese Laune verbreitet. Denkt drüber nach, was würdet Ihr in so einem Fall einer Freundin raten? In diesem Prozess geht es also auch darum, etwas ganz Wichtiges kennenzulernen – die eigenen Bedürfnisse, die sich hinter jedem Müssen, jedem Wollen, hinter jedem Ärger aber auch jeder Freude verstecken. Das ist ein großartiger Prozess, bei dem z.B. die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) unterstützen könnte.

Von der Theorie zur Praxis

Leg einfach los, jetzt, fang irgendwo an, den Knoten aus all dem Müssen zu entwirren, denn mit jedem Müssen weniger gewinnst du Energie für das, was du wirklich willst, für dein DING. Es ist wie eine positive Aufwärtsspirale, wenn du einmal angefangen hast. Denn das Tolle ist, dass mit dem schrittweisen Aufgeben des Müssens dein DING immer klarer wird – langsam, nicht von heute auf morgen. Fang einfach an und vertraue, es wird sich entwickeln. Glaube daran, auch wenn sich Rückschläge einstellen, und das wird passieren, auch schwarze Löcher gehören dazu. Schrittweise, langsam wird immer klarer, was dein Ding ist, was du willst und dann bleibe bei einer positiven Einstellung – das klappt!