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Kennt Ihr das Projekt „Starke Frauen“ noch nicht? Dann könnt Ihr Euch hier das Einführungsvideo (5 Minuten) ansehen oder es lesen.

(Hinweis: Wer das Videointerview mit Heike schon gesehen hat, liest bitte direkt an der Stelle weiter, wo der Text wieder schwarz wird. Die grünen Zeilen sind eine Abschrift des Video-Interviews für alle, die lieber lesen als gucken ????)

Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, wir sind heute in einer neuen Gesprächsfolge der Reihe über starke Frauen verbunden mit Heike Specht, oder besser mit Frau Dr. Heike Specht, die als promovierte Biologin seit 2014 selbstständige PR-Beraterin ist, vor allem für die Gesundheitsbranche. Heike hat 20 Jahre Erfahrung in der Kommunikation, unter anderem für den Pharmakonzern Boeringer Ingelheim. Heike ist Abenteuerreisende und – was ich sehr spannend finde für unser Thema starke Frauen – Heike schreibt für den Blog „Lemondays“ (www.lemondays.de), der sich an Frauen in den Wechseljahren richtet. Ich habe also quasi drei Fachfrauen zum Thema starke Frauen, die ich jetzt in einer Person befragen darf – das ist die Biologin, die Kommunikationsexpertin und die Expertin für die Menopause. Und an alle drei – also an das ganze Überraschungsei – geht jetzt meine erste Frage: Heike, was ist denn für Dich eine starke Frau?

Heike: Hallo und danke, dass wir Zwei uns heute über dieses wichtige Thema unterhalten dürfen. Für mich ist eine starke Frau eine Frau, die weiß was sie will und die einen Weg findet, das auch zu bekommen. Das mag jetzt erst einmal egoistisch klingen, aber so ist es keinesfalls gemeint. Wenn wir uns zum Beispiel anschauen, wie die Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland aussehen, dann sind die vornehmlichen Felder, in denen Frauen arbeiten das Bildungswesen, die Erziehung sowie das Gesundheitswesen und die Heilberufe – in diesen Branchen, die sich um das Wohlergehen der Gesellschaft kümmern, arbeiten über 70 Prozent Frauen. Deshalb sage ich – eine Frau, die weiß was sie will, will das nicht nur unbedingt für sich selbst, sondern vielleicht auch für die Gemeinschaft – für ihre Kinder, ihre Familie, ihre Dorfgemeinschaft oder für die Gesellschaft als Ganzes. Deshalb sind für mich selbstbewusste und starke Frauen die, welche ihr Ziel klar vor Augen haben und einen Weg finden, konsequent dorthin zu kommen. Vielleicht können wir noch über die Qualitäten von Frauen sprechen, die stark sind in diesem Antrieb, ihr Ziel erreichen zu wollen?

Andrea: Gerne.

Heike: Was mir dabei zuallererst einfällt, ist Selbstmotivation – Frauen die stark sind und wissen, wo sie hinwollen, haben die Fähigkeit jeden Morgen aufzustehen und zu sagen: Ich kann das. Und wenn sie mal an einem Morgen denken: “Oh, heute ist vielleicht kein so guter Tag…“, dann wissen sie zumindest, wie sie sich selbst da herausziehen können, sich wieder positiv motivieren können. Ich finde, starke Frauen bringen unglaublich viel Kreativität mit und Flexibilität, denn sie müssen sich ja in unbekanntem Terrain bewegen. Jemand, der einen neuen Weg für sich sucht, bricht ja auf in eine ungewisse Zukunft. Als Kommunikatorin kann ich sagen, dass starke Frauen auch starke Kommunikatorinnen sind. Damit meine ich nicht nur, dass sie gute Vorträge halten oder überzeugend argumentieren können. Nein, ich finde, starke Kommunikatorinnen können auch gut zuhören. Sie können sich gut auf ihr Gesprächsgegenüber einstellen, bringen unglaublich viel Empathie in das Gespräch. Sie sehen auch in der Diskussionsrunde mit Mehreren, wo die stillen Teilnehmer sind und lassen diese zu Wort kommen. Das finde ich auch eine sehr schöne und wichtige Qualität. Letztlich sind starke Frauen mit diesen Eigenschaften auch in gewissem Maße selbst-bewusst. Manchen scheinen diese Aspekte von Stärke in die Wiege gelegt zu sein, andere lernen über Erfahrungen, sie entwickeln sie einfach, indem sie feststellen, was funktioniert und was nicht funktioniert. Um einmal ein Beispiel zu bringen – Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht von „Fridays for Future“ ist eine starke Frau, eine junge Frau, die schon bevor sie volljährig wurde ein unglaubliches Selbstbewusstsein hatte und für ihre Ziele eingetreten ist. Ihr wurde es vielleicht in die Wiege gelegt, andere haben es über die Jahre entwickelt. Diese Entwicklung sehe ich vor allem bei den Frauen, die wir über den Blog „Lemondays“ kennenlernen. Das sind Frauen, die in der Lebensmitte stehen, die ihre Zukunft neu definieren können und darüber auch ganz neue Ideen entwickeln.

Andrea: Prima, Du hast als Kommunikationsfachfrau schon das richtige Stichwort an der richtigen Stelle gegeben. Ich möchte nämlich im Video auf jeden Fall noch auf den Blog „Lemondays“ eingehen, in dem es ja speziell um die Wechseljahre geht. Dort habe ich die Frage gelesen „Und wie findest du in diesen Jahren dein Glück?“ Du hast gerade gesagt, dass die Menopause eine Gelegenheit für Frauen sein könnte, ihre Zukunft neu zu definieren. Wie findet frau denn ihr Glück in dieser Zeit und was ändert sich vielleicht durch die Menopause?

Heike: Es gibt eine wunderbare Coach, Kaja Andrea Otto, die die Menopause gut beschreibt. Sie sagt, wenn wir Frauen noch in der Phase der Regelblutung sind, dann geben wir unsere Energien gerne nach außen, geben sie ab für die Umwelt. Mit der Menopause holen wir diese Energien zu uns zurück. Das ist ein ganz tolles Bild und viele Frauen können das sicher bestätigen. Sie merken, dass sie in dieser Phase Energie zurückholen können. Die Menopause ist eine Phase des starken Umbruchs, oft fällt sie zusammen mit dem Weggang der Kinder, einige Frauen entwickeln dann so eine Art „Empty-nest-Syndrom“. Aber dieser Weggang birgt natürlich auch Chancen, weil man plötzlich als Mutter wieder Freiräume hat, Zeit für sich, die vorher den Kindern gewidmet wurde. Hier bekommen Frauen den Raum zur Selbstreflektion, für die Frage „Was will ich vom Leben noch?“ – das finde ich eine ganz wichtige Frage in der Lebensmitte. Viele der Frauen, die wir über „Lemondays“ kennenlernen, stellen sich diese Frage und beziehen aus der Antwort ganz viel Stärke.

Andrea: Warum?

Heike: Weil mit der Antwort ganz viele Dinge hochkommen können, die in der Jugend vielleicht schon mal als Idee da waren, dann aber fallen gelassen wurden, für den Beruf, für die Familie. Vielleicht wurde auch die Karriere hintenan gestellt für die Familie, jetzt kann sie wieder aufgenommen werden. Oder es kommen ganz neue Ideen, Chancen, über die man vorher noch gar nicht nachgedacht hat. Es gibt unglaublich viele Frauen, die zur Lebensmitte entdecken, dass sie Talente in sich tragen, die bisher nicht zum Vorschein gekommen sind – und vielleicht werden sie Coaches, Yogalehrerinnen oder Unternehmerinnen. Sie finden dadurch in eine ganz neue Rolle und das ist wunderschön anzusehen. Das Glück kommt aus den Frauen selbst, indem sie erkennen, das die Lebensmitte nicht der Anfang vom Ende ist, sondern der Anfang von etwas Neuem. Das alles passiert, indem sie für sich die Frage beantworten – was steckt jetzt im Leben noch für mich drin.

Andrea: Wenn ich dir so zuhöre, entsteht da tatsächlich ein neues Selbstverständnis?

Heike: Das sehe ich auch so, weil wir Frauen tatsächlich sehr viel stärker über uns nachdenken, weil wir die Zeit haben oder teilweise durch körperliche Veränderungen dazu gezwungen werden. Ich kann das am eigenen Beispiel belegen – wer nächtelang wach liegt, weil der Schlaf nicht kommen will, der hat viel Zeit, über sich selbst nachzudenken. Dieser ganze hormonelle Umbruch bringt viel in Bewegung: Ich kannte zum Beispiel früher keine Wutausbrüche. Seit den Wechseljahren kann ich wunderbar Wut empfinden. Am Anfang habe ich gedacht, ich müsse dagegen ankämpfen, aber irgendwann habe ich begonnen, diese Wut in eine positive Energie zu kanalisieren, die mir den nötigen Schub gibt, Dinge anders zu machen. Insofern kommen wir zu einem neuen Selbstverständnis, da wir durch die körperlichen Veränderungen tatsächlich zu einer anderen Frau werden. Hormone gehen, werden durch eine neue Physiologie ersetzt, mit der wir lernen müssen umzugehen. Wenn die Hitzewallungen vorbei sind und alles, was damit verbunden ist, dann sind wir eine andere Person, und die hat neue Chancen.

Andrea: Was ich gerade interessant fand – als Du von der Wut erzähltest, wolltest Du sie zunächst unterdrücken und hast dann gespürt, das sie zu Dir gehört, dass Du sie ausdrücken, kanalisieren möchtest. Ich habe aus einigen meiner bisher geführten Gespräche die Quintessenz mitgenommen, das starke Frauen fühlen können, dass sie aufhören in den Widerstand zu gehen gegen das, was sie im Moment empfinden und dass sie lernen, authentisch zu sein.

Heike: Oh, mein Lieblingswort – authentisch.

Andrea: Also würdest Du das oben Gesagte unterschreiben?

Heike: Das würde ich auf jeden Fall unterschreiben, gerade beim Thema Authentizität schwinge ich total mit, weil ich immer deutlicher merke, wie wichtig sie für Frauen ist. Das hat sicherlich auch etwas mit dem männlich dominierten Wertesystem in der Arbeitswelt zu tun. Als Frauen haben wir viel zu lange versucht uns einzupassen, ohne zu hinterfragen, ob das für uns überhaupt stimmig ist. Dadurch gerieren wir uns als Frauen in einer Rolle. Klar haben wir im Leben verschiedene Rollen auszufüllen, als Mutter, als Tochter, als Mitarbeiterin, als Führungskraft, aber wenn ich mich innerhalb dieser Rollenanforderungen auch noch verbiegen muss, dann weiß ich irgendwann, wenn ich morgens in den Spiegel schaue, gar nicht mehr, wen ich da sehe. Ich selbst hatte irgendwann keine Lust mehr auf diese Rollen und Erwartungen und habe unter anderem deshalb aufgehört, als Angestellte zu arbeiten. Ich wollte selbstbestimmt arbeiten. Ich stehe für gewisse Eigenschaften, die ich lebe und ich bin überzeugt, dass meine Kunden diese Authentizität wertschätzen.

Andrea: Du bist gerade schon auf das männlich dominierte Wertesystem in der Arbeitswelt eingegangen. Warum ist Deiner Meinung nach die Arbeitswelt männlich und warum sollte sie weiblicher sein?

Heike: Ich denke, dass die Arbeitswelt historisch bedingt männlich ist. Männer haben schon immer nach außen tendiert, waren Jäger, waren Soldaten, sie gingen raus und haben dort agiert. Frauen haben sich um Kinder, Familie und die Dorfgemeinschaft gekümmert. Nach meiner Überzeugung konnten sich dadurch gewisse Strukturen und Manierismen in der Arbeitswelt etablieren, die rein männlich dominiert sind. Uns Frauen ist diese Einsicht sehr lange nicht aufgegangen. Erst langsam, durch den Wandel der Arbeitswelt, durch New Work und Agilität und auch durch die veränderte Wahrnehmung der Frau in der Gesellschaft merken wir, dass wir uns nicht einpassen sollten. Im Gegenteil – wir müssen das System von innen revolutionieren, indem wir unsere Werte hineintragen.

Andrea: Was verstehst Du darunter?

Heike: Darunter verstehe ich weibliches Empowerment. Während es Männern ganz oft um Macht geht und um Machterhalt, stehen Frauen eher für Ermächtigung – sie möchten als Führungskraft ihre Mitarbeiter zu einem guten Projekt, einem guten Produkt oder einer guten Idee befähigen. Weiterhin meine ich damit Werte wie Emotionalität, Energie oder Impulsivität. Die heute gefragten kreativen Prozesse werden getragen von diesen Eigenschaften. In ein Brainstorming hineinzurufen, was mir als Idee gerade durch den Kopf geht, funktioniert meiner Erfahrung nach mit Frauen besser, weil die sich trauen, ins Blaue zu plaudern. Gerade jetzt, wo Innovationszyklen immer kürzer werden, stehen Teams unter unglaublichem Erfolgsdruck, weswegen es nahezu eine unternehmerische Notwendigkeit ist, die weibliche Seite in Führungsebenen hineinzubringen. Ich bin überzeugt davon, dass dadurch die Ergebnisse besser werden.

Andrea: Du sagtest weiter oben, dass Frauen als Führungskraft sehr auf die Gruppe achten, darauf, dass jede und jeder mitgenommen wird, auch die Stillen.

Heike: Ja das stimmt. Wir sind alle Mütter, das ist biologisch in uns angelegt. Wir kümmern uns um alle Küken, nicht nur um das eine, das am lautesten schreit.

Andrea: Das finde ich wieder einmal eine spannende Analogie zur Natur – die Mutter kümmert sich um alle Küken, so ist es in ihr angelegt. Dem Vater wiederum geht es um den Arterhalt, der würde sich also tendenziell dem Stärksten zuwenden, oder? Dieses natürliche Prinzip finden wir auch in der Arbeitswelt – auf der einen Seite die weibliche Kraft, die verbindet, sich sorgt, für alle da sein will, auch wenn´s manchmal nervt. Auf der anderen Seite das männliche Prinzip, das ganz klar prüft, wo die Alphatierchen sind, damit die Stärksten zusammen das Überleben der Gattung sichern können.

Heike: Ja, aber das funktioniert heute so nicht mehr. Das „Überleben der Gattung“ bezeichnet in diesem Fall den unternehmerischen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz. Der wird aber nicht mehr dadurch erreicht, dass die weiterkommen, die am lautesten schreien. Unternehmerischer Vorsprung wird heute innerhalb von autonomen Teams erzielt, im Konsens, dadurch, dass jeder seine Fähigkeiten einbringt, um das optimale Ergebnis für ein Unternehmen herausholen.

Andrea: Wobei ich das Gefühl habe, dass der Schritt vom Verständnis des „Es funktioniert so nicht mehr“ bis zum wirklichen Leben der Alternative noch ein weiter ist… Heike, wenn wir gerade darüber sprechen, welche Qualitäten Frauen deiner Meinung nach in die Arbeitswelt bringen, stellt sich mir die Frage, ob wir aus Deiner Sicht eine bestimmte Art von Frauen brauchen, um das Verbindende, Kommunikationsfördernde in Teams zu tragen? Benötigen wir die von Dir weiter oben beschriebene „starke Frau“?

Heike: Ich glaube, wir benötigen in Teams nicht nur starke Frauen, um gute Arbeitsergebnisse zu erzielen. Auch Frauen, die nicht an die Spitze wollen, können einen sehr guten Job machen. Es sind die weiblichen Qualitäten, die den Unterschied machen. Mein Gefühl ist, dass wir ein paritätisches Verhältnis zwischen Männern und Frauen brauchen, weil es zwischen den Geschlechtern so ist wie mit Yin und Yang – sie gleichen sich aus und nur wenn sie sich die Waage halten, kommt ein optimales Ergebnis dabei heraus.

Andrea: In diesem Zusammenhang wäre dann die Frau, die wir brauchen, eine, die mithilft, dieses Gleichgewicht herzustellen und sich traut, entgegen klassischen Rollenschemen ihre Weiblichkeit in die Arbeitswelt einzubringen. Ich glaube, das erfordert eine ganze Menge Stärke.

Heike: Ich erlebe, dass Frauen in jüngerer Zeit tatsächlich die schöne Erfahrung machen, unterstützt zu werden, dass ihre Qualitäten erwünscht und gesucht sind. Führung, wie sie heute verstanden wird, hat sehr viel „weibliche“ Attribute. Eine Führungskraft ist ja nicht mehr derjenige, der den Mitarbeitern sagt, wie sie ihren Job zu machen haben oder der es besser wissen muss. Eine gute Führungskraft ist jemand, der seine Mitarbeiter coacht, der die Menschen befähigt, zu einem guten Arbeitsergebnis zu kommen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Teams besonders erfolgreich sind, die eine Doppelspitze haben, in der das weibliche und das männliche Element sich gegenseitig befruchten und eine Gruppe damit zum besten Ergebnis führen.

Andrea: Hast Du eine Idee, wie wir weiterkommen könnten?

Heike: Was uns Frauen hilft, ist Gemeinschaft. Diesbezüglich gibt es viele gute Ansätze. Mentoringprogramme zum Beispiel, in denen Frauen von anderen Frauen gecoacht werden und sich an deren Vorbild orientieren können. Oder auch Netzwerke, innerhalb und außerhalb der Unternehmen. Auf Unternehmerseite wären wir an dieser Stelle der Diskussion bei der Quote. Wichtig wäre zuallererst zu erkennen, in wie vielen Branchen Frauen fehlen. Wenn wir uns die Baubranche anschauen, den IT-Sektor, Maschinenbau, Fahrzeugtechnik – überall weniger als 20 Prozent Frauenanteil, und das nicht einmal in den Führungspositionen, sondern generell. Es würde diesen Branchen guttun, Initiativen zu ergreifen, damit sie mehr Frauen für sich gewinnen. Nur, wenn der Frauenanteil insgesamt steigt, können einige auch in Führungspositionen aufrücken.

Andrea: Also bist Du eine Freundin der Quote.

Heike: Ja, ich bin eine Freundin der Quote. Ich sage allerdings nicht, dass auf Gedeih und Verderb eine bestimmte Position mit einer Frau besetzt werden sollte. Das ist gerne der Vorwurf an die Befürworterinnen – „dann wird halt mit ´ner Frau besetzt, obwohl die´s nicht kann.“ Das halte ich für Quatsch. Eine Quote ist gut, weil sie für qualifizierte Frauen generell Chancen eröffnet. Und außerdem kann mir kein Unternehmer erzählen, dass er auf dem ganzen Erdball keine Frau findet, die die gesuchten Qualifikationen besitzt. Vielleicht braucht es dafür einen weiteren Blick über den Tellerrand hinaus, um auch Frauen aus anderen Ländern oder anderen Branche in Erwägung zu ziehen. Es könnte ja durchaus sein, dass man von ihren Sichtweisen profitiert. Mein Gefühl ist, dass zu häufig der Versuch unternommen wird, aus den eigenen Reihen zu rekrutieren.

Andrea: Apropos von anderen Sichtweisen profitieren – ist nicht auch dieser Blick über den Tellerrand etwas, das von einem weiblichen Prinzip in die Unternehmen hineintragen werden kann?

Heike: Ja, und diese Sichtweise passt auch zu der oben gestellten Frage, was Frauen stark macht. Ich glaube, dieser Blick über den Tellerrand, also die Erweiterung des Blickwinkels, zum Beispiel durch Weiterbildung oder Coaching, kann ein ganz wesentliches Element sein, um Frauen zu helfen. Gerade im Business erlebe ich, dass Frauen sich trauen, ihre Stärken zu leben und einzubringen, wenn man ihnen ihre Fähigkeiten als Stärken klar macht und diese fördert. In Vorstellungsgesprächen habe ich oft die Zurückhaltung der Frauen herausgehört, die sagen „das kann ich vielleicht“, weil sie sofort die Konsequenzen bedenken und sich fragen, ob sie sich eine Aufgabe wirklich zutrauen. Männliche Bewerber treten häufig selbstbewusster auf, nach dem Motto: „Klar, kann ich, Haken dran“, selbst wenn sich die praktische Erfahrung auf ein einziges Mal beschränkt. Ich glaube, in einer flexibleren Arbeitswelt wird der Mut gefordert sein, auszusprechen, was ich kann und machen möchte. Und noch ein Letztes zur Frage, was uns Frauen stark macht: Feiern! (lacht) Sich für seine Erfolge auf die Schulter zu klopfen, statt direkt zum nächsten Problem überzugehen.

Andrea: Das kommt doch generell in Unternehmen viel zu kurz, oder? Es gibt die Projektmanagementmethode „Dragon Dreaming“ (http://dragondreaming.org) und dort lautet der letzte Schritt immer: „Celebrate!“. Also – Party, sich in den Armen liegen und gegenseitig bestätigen: „Hey, das haben wir cool hinbekommen.“ Und nicht einfach darüber hinweggehen und weitermachen. Feiern gibt so eine Stärke in ein Team rein, ich finde das unglaublich.

Heike: Das hat ganz viel mit Motivation zu tun, denn wir machen einen Job ja nicht nur, um Geld zu verdienen, sondern weil wir etwas bewegen wollen. Und wenn man es gemeinsam gerockt hat, dann will man auch das gemeinschaftliche Gefühl des Gelingens genießen.

Andrea: Also, Heike, bei all dem, was wir uns jetzt gerade erarbeitet haben, scheint das weibliche Prinzip schon eine zunehmend wichtige Rolle spielen zu können. Ist die Zukunft weiblich?

Heike: Ich finde, die Zukunft ist bunt. Sie sollte keinen Unterschied machen zwischen Geschlechtern, Hautfarben oder sexueller Orientierung. Ich hoffe, die Zukunft wird divers, weil ich glaube, dass wir nur in der Diversität die Probleme, die auf uns warten, lösen können.

Andrea: Erklär mal, warum.

Heike: Die kommenden Herausforderungen sind zu vielschichtig, um sie in kleinen homogenen Gruppen zu lösen. Ich bin vielleicht Utopistin, aber ich glaube, wir schaffen es nur als Gemeinschaft, die wirklich große Räder zu drehen. Da darf es keinen Unterschied machen, ob der Gesprächspartner vom afrikanischen Kontinent kommt oder queer ist oder auf sonst irgendeine Art „anders“ wahrgenommen wird. Ich wünsche mir, dass wir diesen Fokus auf Unterschiede überwinden können, uns stattdessen gemeinsam auf das Problem fokussieren und sagen: Lasst uns unseren gesamten Kreativitätspool anzapfen, um zu Lösungen zu kommen, die Zukunft gestalten.

Andrea: Das finde ich ein sehr schönes Schlusswort: Wir sind alle aufgefordert, gemeinsam beizutragen zu einer bunten Zukunft! Vielen Dank, liebe Heike.

Kontakt:

Dr. Heike Specht

www. picus-communications.de

www. lemondays.de