Damit es Frieden in der Welt gibt,
müssen die Völker in Frieden leben.

Damit es Frieden zwischen den Völkern gibt,
dürfen sich die Städte nicht gegeneinander erheben.

Damit es Frieden in den Städten gibt,
müssen sich die Nachbarn verstehen.

Damit es Frieden zwischen Nachbarn gibt,
muss im eigenen Haus Frieden herrschen.

Damit im Haus Frieden herrscht,
muss man ihn im eigenen Herzen finden.

(Laotse)

Frieden im Haus, den finden wir nur im eigenen Herzen! Was Laotse da gesagt haben soll, heißt für mich, dass ich Frieden nicht herbeiorganisieren oder -diskutieren kann. Frieden lässt sich nicht schaffen, indem ich darüber rede. Trotzdem ist es hilfreich über Frieden zu reden, denn wenn wir uns miteinander über Frieden unterhalten würden – Du und ich – dann würde uns wahrscheinlich schnell klar, dass wir beide etwas ganz anderes darunter verstehen. Für Dich könnte Frieden vielleicht etwas sein, das auf der Welt herrschen sollte. Für mich dagegen wäre Frieden vielleicht ein Zustand, der eintritt, wenn ich mich nicht über meine Familie oder meine Kollegen aufregen müsste – wenn sie mich einfach in Ruhe ließen.

Das kennst Du auch, oder? „Lass mich doch bitte einfach in Frieden!“ So etwas ist leicht gesagt und doch so schwierig – jemandem einfach seinen Frieden zu lassen, ihn oder sie einfach SEIN zu lassen, so wie er ist, so wie sie denkt, egal was sie tut, egal was er sagt. Wow. Und wieviel schwieriger ist es darüber hinaus, sich selbst diesen Frieden des Seins zu gönnen, den Frieden im eigenen Haus, der im Herzen anfängt.

Müsste, wenn wir diesem Gedankengang folgen, also nicht jeder Mensch erst mit sich selbst zufrieden sein, damit es Frieden geben kann?

Der Hammer und der Frieden

Und was tun wir? Die Friedensbewegung kämpft seit Jahrzehnten für den Frieden, ein Paradox. Kein Wunder, dass dort viele Gruppen zutiefst zerstritten sind, so wird es mir zumindest erzählt. Kampf und Frieden sind Polaritäten, die alle, die in diesem Paradox verstrickt sind, permanent in zwei verschiedene Richtungen zerren. Eine Gesellschaft, eine Gruppe, eine Familie, die auf Kampf ausgerichtet ist, kann keinen Frieden leben. Und so ist es auch mit mir als Mensch. Ich erfahre immer deutlicher, dass schon ein einziges Gedankenkonstrukt reicht, um meinen Frieden aufzugeben. Kennst Du die Geschichte vom Hammer aus der „Anleitung zum Unglücklichsein“ von Paul Watzlawick? (Falls Du sie nicht kennst, einfach kurz „Hammer“ und „Paul Watzlawick“ in eine Suchmaschine eingeben.) Das meine ich!  Nur indem ich eine Handlung als Angriff wahrnehme, werde ich meinen Frieden verlieren. In meiner Wahrnehmung gibt es einen Angriff und ich reagiere – egal ob mit Gegenangriff („Sie Rüpel!“) oder mit Rückzug (Der mag mich sowieso nicht). Das alles passiert uns tagtäglich unzählige Male, meist unbewusst, und ganz sicher fast jedem von uns.

Schuld und Scham, Zorn, Ärger, Verurteilen, Schimpfen, Lästern aber auch Rückzug, Resignation, Schmollen und Schweigen – all dies sind Verhalten, die sich aus dem Kontext von Angriffsgedanken nähren: Jemand will mir was, jemand will mein Selbstverständnis, meine natürliche Unversehrtheit und Leichtigkeit, mein (Gott-)Vertrauen angreifen. Sobald ich mich in dieser Art von Gedankenwelt bewege – und das tun wir, wie gesagt, fast alle und fast immer – ist Frieden weit weg.

Klar, dann kann ich mich hinsetzen und meditieren oder einmal laut OM singen. Und kaum drehe ich mich um, ist der nächste Angriffsgedanke da, ich bin schon wieder im Widerstand, gegen mein Gegenüber, gegen die Situation, gegen mich selbst. („Du hast es schon wieder nicht geschafft, du Looser!“) Frieden entstünde in dem Moment, in dem ich meinen Widerstand aufgäbe, meine Angriffsgedanken auflöste, aufhören würde zu kämpfen. So die Theorie. Die Praxis ist eine Herausforderung, jeden Tag.

Die Heilung und der Frieden

Frieden hat für mich auch eine Qualität von Ganzheit, von Vollständigkeit, von Gesundheit. Denn auch Krankheit ist oft ein körperliches Angriffsszenario, wenn wir es uns einmal genauer anschauen – Viren oder Bakterien, Krebs oder Autoimmunerkrankungen, von denen die Schulmedizin sagt, dass irgendetwas im Körper sich selbst angreift: All das bringt den Körper aus seiner natürlichen Harmonie. Das meint übrigens auch das Wort „Schalom“, das hebräische Wort für „Frieden“. Es bedeutet Frieden im Sinne von „heil sein“ oder „ganz sein“.

Heil sein, ganz sein – sich als Mensch, als Gesellschaft vollständig fühlen. Darin finden sich zwei Aspekte, die ich beide wunderschön und interessant finde. Einerseits kann ich mich vollständig fühlen, im Sinne einer Gesamtheit aller Wahrnehmungen. Wenn ich meine Körperlichkeit, meine Emotionen, meine Gefühle bewusst wahrnehme, jedes und alle. Auf die Gesellschaft bezogen hieße diese Art von Ganzheit, dass wir uns vollständig fühlen, weil wir zumindest jedes Lebewesen als wichtigen und unersetzbaren Teil des Lebens-Netzes erkennen. Andererseits sprechen wir von Vollständigkeit aber auch im Sinne einer summarischen Totalität. Sie bezeichnet das tiefe Erkennen, dass alles gut so ist, wie es ist. Ich fühle mich vollständig – es fehlt nichts, es ist alles schon da. Auf die Gesellschaft bezogen würde das heißen: Wir haben alle Menschen und alle Ressourcen, um die Herausforderungen und Probleme zu lösen, vor denen wir stehen. Das ist perfekt, oder?

Dieser Aspekt der Vollständigkeit führt letztlich dazu, dass wir einen weiteren Schritt Richtung Akzeptanz machen können, also zu einem So-Sein, das (siehe oben) ohne Widerstand und Angriffsgedanken auskommt. Wenn ich begreife, dass alles da ist und alles gut so ist, wie es ist, oder wenn ich, wie Byron Kathie es ausdrückt, beginne zu „Lieben was ist“, dann kann ich innerhalb der Gegebenheiten meinen Frieden finden – indem und weil ich mit den Gegebenheiten meinen Frieden gemacht habe.

Das findest Du jetzt sehr theoretisch, oder? Ich muss es auch noch weiter sacken lassen und habe daher eine Schreibaufgabe für uns – wenn Du Lust hast. Nimm Dir ein Blatt Papier und einen Stift und dann schreibe einfach los – 5 Minuten vielleicht. Lass Dich inspirieren von der Frage: Was kann ich selbst tun, um jeden einzelnen Tag ein bisschen mehr Frieden zu leben und weiterzugeben?