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Kennt Ihr das Projekt „Starke Frauen“ noch nicht? Dann könnt Ihr Euch hier das Einführungsvideo (5 Minuten) ansehen oder es lesen.

(Hinweis: Wer das Videointerview mit Anita schon gesehen hat, liest bitte direkt an der Stelle weiter, wo der Text wieder schwarz wird. Die grünen Zeilen sind eine Abschrift des Video-Interviews für alle, die lieber lesen als gucken)

Willkommen zu einer neuen Folge der Gespräche über Starke Frauen, heute mit Anita Maas (https://maas-naturcoaching.de). Anita, die eigentlich Apothekerin ist, hat mit 50 Jahren einen Zeitschriftenverlag gegründet und gibt seit 2016 das Maas-Magazin (https://maas-mag.de/) heraus. Das Heft erscheint vierteljährlich, auch online, und beschäftigt sich mit Themen rund um ein bewusstes und erfülltes Leben. Naturverbundenheit und Spiritualität kommen dort zum Ausdruck, denn wir benötigen die Verbindung zur Natur, sagt Anita, die auch als Naturcoach arbeitet, dann sind wir geerdet und getragen. Außerdem benötigen wir einen Stern, dem wir folgen können, um stabil im Leben zu stehen. Ich frage mich, ob Stabilität Stärke bedeutet. Deswegen frage ich jetzt Anita: „Was ist das denn für dich? Eine starke Frau?“

Anita: Ich habe im Laufe meines Lebens meine Einstellung zu Stärke geändert, nachdem ich in meinen jungen Jahren sehr auf Emanzipation aus war und wirklich darauf geachtet habe, genauso stark zu sein wie die Männer. Inzwischen muss ich sagen, dass eine starke Frau eigentlich die ist, die zu ihren Schwächen stehen kann. Die wahre Stärke einer Frau ist ihre Schwäche. Und damit meine ich jetzt nicht ein Kleinbeigeben, sondern die Fähigkeit, auch weich sein zu können, nachgeben zu können, mal in der Passivität zu sein, im Zuhören, auf Empfang, in der Empathie. Das sind für mich die wahren Stärken der Frauen. Mittlerweile versuche ich immer mehr meine harte Schale, meine harten Bandagen abzulegen und weicher zu werden. In der Welt fehlen uns Menschen, die auch mal schwach sein können, die zugeben können, wenn sie nicht weiter wissen. Manchmal wünsche ich mir das von Führungskräften oder von Politikern, dass sie einfach eingestehen, nicht weiter zu wissen.

Andrea: Schwach sein, wenn es der aktuelle Moment gerade erfordert. Ich glaube, dass das sehr viel Mut verlangt, etwas, das du anscheinend in nicht unbeträchtlichem Maße besitzt, wenn ich mir vorstelle, dass du als Apothekerin mit 50 Jahren hingegangen bist und gesagt hast, „Ich gründe jetzt einen Zeitschriftenverlag. Das ist es, was ich tun möchte.“ Ist Mut ein Attribut von starken Frauen?

Anita: Ja, Mut braucht man immer im Leben und wir Frauen neigen ein bisschen dazu, uns zu verstecken. Der größte Mut, den wir benötigen, ist der, sich selbst zu zeigen, wie man ist und zu seinen Wünschen, zu seinen Sehnsüchten zu stehen. Das ist eigentlich das Natürlichste auf der Welt, aber in unserer Gesellschaft haben wir es verlernt. Es erfordert Mut, sich zu zeigen und momentan wird diese Art Mut eher von Männern erwartet. Deswegen benötigen Frauen ein bisschen „Extra-Mut“ für ihre Sichtbarkeit. Zumal es für Frauen immer noch um die Beurteilung nach dem Äußeren geht, sie werden schnell neidisch betrachtet, wenn sie sichtbar werden. Da müssen wir schon sehr selbstsicher sein und sagen: ich kann das, ich schaffe das, ich will das, ich mache das.

Andrea: Wir brauchen den Mut, uns zu zeigen. Wir sollten aber, um etwas zeigen zu können, natürlich erst entdecken, was es da zu zeigen gibt. Also wäre jetzt die logische, nächste Frage: Wenn ich meinen „Stern“, also meine eigenen Gaben und Talente, die es zu zeigen und vielleicht auch der Welt zu geben gilt, entdecke und im nächsten Schritt nutze – gibt das Stärke? Und zweiter Teil der Frage – wie mache ich das denn?

Anita: Ja, dieses Wissen um unsere Gaben und Talente gibt auf jeden Fall Stärke und auch Stabilität. Das Wissen um unsere Gaben, das, womit wir nach außen gehen, womit wir uns zeigen in der Welt, womit wir dienen, gibt uns Sicherheit. Es geht ja nicht nur ums Geld verdienen oder den Erfolg, sondern um die Frage: Was ist mein Beitrag für die Welt? Was sind die Gaben, die mir mitgegeben wurden, die ich wiederum in der Welt sichtbar machen möchte, um anderen Menschen oder der Natur, der Umwelt, wem auch immer, irgendwie hilfreich zu sein? Wenn ich das weiß, dann bin ich ganz sicher in mir. Ich bin stark, wenn ich zu meinen Qualitäten stehen kann, weil ich sie entdeckt habe, weil ich weiß, darin bin ich gut. Dann können die inneren Zweifler, die ja nie ganz verschwinden, leichter im Zaum gehalten werden, als wenn ich versuche etwas zu machen, was gerade trendy ist oder gebraucht wird.

Dieses organische Wachsen von innen heraus benötigt für die Entwicklung vielleicht ein bisschen mehr Zeit, aber dann ist es stabil und erfüllend. Es ist viel einfacher, wenn man schon in der Kindheit eingeladen wurde, den eigenen Sehnsüchten, Gaben und Wünschen zu folgen als wenn man sich das als Erwachsene erst mühsam erarbeiten muss.

Andrea: Wenn es sich jetzt jemand mühsam erarbeiten muss, was wäre dann ein erster Schritt, um seine Gaben und Talente zu entdecken? Was würdest du aus deiner Erfahrung empfehlen? Wie komme ich in meine Stärke?

Anita: Folge der Freude! Es ist so einfach und naheliegend und doch so schwer umzusetzen, aber meine Empfehlung ist: Mach, woran du Spaß hast und was dir leicht fällt. Das widerspricht dem, was wir – oder zumindest ich – mitbekommen habe: Man muss hart arbeiten und es darf nicht so leicht gehen. Wer erfolgreich sein will, der muss kämpfen und viel Zeit investieren. Man muss Federn lassen, heißt es. Aber das Gegenteil ist der Fall. Du wirst erfolgreich, wenn du das tust, was du wirklich gerne machst. Weil du es gut kannst, fällt es dir leicht, denn du baust intuitiv auf die eigenen Stärken. Eigentlich ganz einfach. Wir müssen es uns nur trauen. Da sind wir wieder beim Mut.

Andrea: Jetzt sind wir wieder beim Mut, ja. Und auch ein bisschen beim Abstand zu den Urteilen von außen, zu dem, was wir über Jahrzehnte gelernt haben, wie Frau zu sein hat.

Andrea: Mut ist auch die Fähigkeit, sich unabhängig zu machen, oder? Du schreibst auf deiner Webseite, dass dein Umfeld gesagt habe – Mensch Anita, noch eine Zeitschrift braucht doch kein Mensch. Aber du hast sie trotzdem gemacht und bist erfolgreich.

Anita: (lacht) Ich glaube, manchmal bin ich ganz schön stur. Und unbelehrbar. Ja, ich wollte das einfach machen. Ich habe vorher schon einen pharmazeutischen Fachverlag mitgeleitet und wusste, ich will weiterhin mit Autoren arbeiten, ich habe Lust zu schreiben, online reicht mir nicht und ich will Schönes in die Welt bringen. Schönheit ist für mich ein hoher Wert. Natürlich gab es noch andere Ideen, ich wollte ein Buch schreiben, hatte die Idee, eine Heilpflanzenschule zu eröffnen – ich habe Freude an ganz vielen Sachen.

Andrea: Und jetzt bietest du parallel noch Natur-Coaching an.

Anita: Nur Theorie war mir nicht genug, ich wollte mehr Zeit in der Natur verbringen und Menschen zeigen, wie wunderbar man in der Natur sich selbst finden kann, weil die Natur unser Sein überall spiegelt. Auch hier bin ich der Freude gefolgt, habe nach meiner schamanischen Ausbildung ganz spielerisch mit dem Coaching begonnen, als Geburtstagsgeschenke für Freundinnen. Ich habe gemerkt, wie leicht es mir fällt, wieviel Freude es mir macht und wie viel sich bei meinen „Gästen“ bewegt hat.

Andrea: Es scheint, als würden wir, wenn wir nur tief genug buddeln oder hoch genug greifen, unseren Leitstern entdecken. Die eine Sache, die uns treibt. Aber wenn ich dir so zuhöre und wenn ich auch in mich hineinschaue oder mich umschaue, dann haben wir alle so viele Dinge, die uns interessieren – gerade Frauen, die mutig sind, sich zeigen wollen. Wir sind „multiinteressiert“ und ich erlebe ganz oft eine Tendenz, sich zu verzetteln und sich dann im Kleinklein zu verlieren. Hast du da einen Rat für Frauen, die der Freude folgen wollen? Alles ausprobieren oder Fokus setzen?

Anita: Fokussieren ist total wichtig und es ist tatsächlich nicht das, was ich gut kann (lacht). Ich bin ganz bei dir, es gibt so viel schöne Ideen und wenn wir unsere Energie immer weiter aufsplitten, dann kommt nichts davon in die Wirklichkeit. Aber wir können schauen, welche Dinge sich gut kombinieren lassen, ein Puzzle aus unseren Interessen zusammensetzen. Manche wissen vielleicht ganz sicher: Musik ist meins und Geige ist mein Instrument – ich werde Geigerin. Aber diese Fokussierung ist selten und ich glaube, die Suche nach dieser einen Stärke, nach diesem einen Talent ist auch gar nicht erforderlich. Kombiniere deine Stärken und vor allem – erkenne deine Schwächen und suche dir da Unterstützung.

Andrea: Also wäre der Rat: Schau, was genau dich einzigartig macht, schau dir die einzelnen Bausteine an, schau auf deinen bisherigen Lebensweg und als logische Konsequenz entsteht dann dein Tun?

Anita: Ganz genau, deswegen sind wir alle so einzigartig, weil wir eben nicht nur ein Talent haben. Umgekehrt, und das ist fast noch wichtiger, geht es darum, die Dinge auszumisten, die man nicht gut kann. Ich glaube, das ist der größte Fehler, wir verbringen so viel Zeit mit Dingen, die uns keine Freude machen. Die fressen so viel Energie, dass man zu dem, was man gut kann, gar nicht mehr kommt.

Andrea: Warum tun wir freudlos so viele Dinge, die wir nicht gut können?

Anita: Ich glaube, es liegt ein Stück weit an unserem Bildungssystem. Schon in der Schule wurde auf die Schwächen geschaut und die mussten ausgeglichen werden. Wir müssen alle Mathe im Abitur haben und dann gibt´s eben Nachhilfe. Wir sind in den Fächern gefördert worden, in denen wir schlecht waren, nicht dort, wo wir gut waren. Zum andern geht es um loslassen, um abgeben können. Ich laufe auch immer wieder in diese Falle als Unternehmerin und frage mich zu spät, wo ich jetzt den- oder diejenige finde, die mir etwas abnimmt.

Andrea: Ich finde es einen sehr interessanten Aspekt, dass wir in der Schule drauf trainiert wurden, unsere Schwächen zu stärken, statt unsere Stärken zu erkennen.

Anita: Da sind wieder bei den starken Frauen. Die Dinge, die Frauen wirklich gut können oder was ihrer Weiblichkeit entspricht, dieser sorgende, integrierende, kommunikative und co-kreative Anteil, das alles kommt in der Schule nicht vor.

Andrea: Weil Schule ein Organ eines patriarchalen Systems ist, das sich dann auch in der Arbeitswelt fortsetzt. Wir werden also durch die Schule lediglich darauf vorbereitet zu funktionieren. Siehst du das auch so?

Anita: Absolut. Wohlfühlen spielt da keine Rolle, dabei ist es so wichtig und kann in der Geschäftswelt einen Meetingverlauf oder das Ergebnis eines Geschäftsgesprächs komplett verändern. Ich suche für Meetings schöne Hotels in der Natur aus, sorge für Blumen auf dem Tisch und schaue, dass wir versorgt sind mit Getränken und mit nahrhaftem Essen. Die alten Römer wussten noch, wie wichtig Entspannung für gute Gespräche ist, die haben ihre Geschäfte in der Sauna abgewickelt. In einer guten Atmosphäre kann ich mich öffnen, kann ehrlich und ernsthaft reden, muss nicht mauern. Dagegen in einer kalten, harten Metall-Design-Weißglanz-Atmosphäre, da halten alle die Luft an. Was soll denn bei so einem Gespräch rauskommen? Ich weiß nicht, ob es wertgeschätzt wird, dass Frauen intuitiv eine Ader haben, einladende Umgebungen zu schaffen, etwas schön zu machen, eine Atmosphäre zu bereiten, einen Raum zu gestalten und auch zu halten.

Andrea: Was passiert, wenn die Wirtschaft beginnt, diese weiblichen Stärken zu honorieren?

Anita: Tja, ja ich glaube, es würde alles sehr viel menschlicher werden und die Frauen würden sich wohler fühlen, wenn sie nicht in so einer
eher männlich dominierten Atmosphäre tätig sind. Vielleicht könnten sie sich dann auch mehr mit ihren weiblichen Fähigkeiten einbringen.

Andrea: Und jetzt komme ich als Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens und sage: Schön und gut, aber meine Mitarbeiterinnen sind nicht hier, um sich wohlzufühlen. Die sollen Wertschöpfung bringen. Was antwortest du?

Anita: Ja, sie bringen ja ganz viel Wertschöpfung, wenn sie sich wohlfühlen, und zwar nur dann.

Andrea: Was kann ich tun, als Unternehmerin oder als Frau, wenn ich Stärken stärken und nutzen möchte?

Anita: Ich glaube, was Frauen wirklich stark macht, ist eine Gemeinschaft von Frauen untereinander. In meinen Frauenkreisen ist die Energie eine ganz andere: sehr nährend, sehr bestätigend. Ab und zu braucht es das und ich finde es schön, dass immer mehr solcher Kreise entstehen, dass auch die Konkurrenz unter Frauen weniger wird. Es ist ja noch nicht so lange her, dass eine Frau sich bemühen musste, einen „guten Mann“ abzukriegen, damit für sie selbst und für die Kinder gesorgt war, weil sie nicht arbeiten durfte und keine Ausbildung hatte. Ich glaube, diese Konkurrenz um die „guten Männer“ sitzt noch ganz schön tief, aber das dürfen wir auflösen und noch mehr unsere Gemeinschaft als etwas Stärkendes nutzen.

Andrea: Das sehe ich ganz genauso und die Wichtigkeit einer nährenden Gemeinschaft zieht sich als roter Faden durch meine bisherigen Interviews. Du sagst, Konkurrenz wird weniger. Andererseits ist unser gesamtes Wirtschaftssystem, unsere Arbeitswelt, auf Konkurrenz aufgebaut. Wir sind also als Frauen gerade aus der Konkurrenz um die „geilen Typen“ raus und kommen in der Arbeitswelt in den nächsten Konkurrenzdruck. Ist es also auch unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass eine andere Arbeitswelt möglich wird?

Anita: Ja, unbedingt. Ich glaube auch, dass diese Konkurrenz, im Lateinischen „concurrere“ – miteinander rennen – etwas typisch Männliches ist. Frauen denken eher in Kreisen, wir versuchen das Miteinander in den Vordergrund zu stellen. Wir könnten dahingehend das Gleichgewicht verschieben, ohne auf das männliche Prinzip zu verzichten. Wir kämen viel weiter, denn Konkurrenz als einziges Prinzip, auf Schwächen gucken und nachtreten, das geht auch im Hinblick auf unsere Entwicklung als Menschheit nicht mehr.

Andrea: Warum?

Anita: Weil wir wissen, dass alles zu uns zurückkommt. Das ist das Gesetz der Resonanz. Wenn ich mit harten Bandagen kämpfe, dann habe ich über kurz oder lang auch ein blaues Auge. Vielleicht kann ich mich beruflich durchsetzen, aber dann kriege ich privat ein Problem. Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück – das ist einfach ein Gesetz.

Andrea: Und deswegen ist die Wirtschaft so wie sie ist, die Welt, so wie sie ist. Die Frage ist also, wie viel noch zurückkommen muss, bis wir verstehen, dass es an uns ist, uns anders zu verhalten, wenn wir wollen, dass es anders zurückschallt, dass also andere sich verändern.

Anita: Ja, ich sollte immer bei mir selbst anfangen, überall, in meiner Familie, in meiner Beziehung, mit meinen Kindern, mit meinen Eltern, natürlich auch im Unternehmen. Wenn ich aufhöre zu kämpfen und stattdessen ein Miteinander fördere, eine Beziehung, bei der man sich gegenseitig hört und auf die Bedürfnisse Rücksicht nimmt, dann wird es viel einfacher.

Andrea: Wirklich? Es scheint ja viel einfacher mit meiner elterlichen Autorität oder mit meiner hart erkämpften Autorität als Führungskraft. Jetzt kann ich endlich sagen, wo’s langgeht. Jetzt habe ich meine Ruhe. Jetzt muss ich nicht mehr dem zuhören und der nach dem Mund reden: welche Erleichterung! (?)

Anita: Es funktioniert nicht. Wenn die Leute nicht hinter dir stehen und mitmachen, dann lassen sie dich einfach auflaufen, ich habe das selbst erlebt. Man kommt nicht vorwärts, wenn man über die Bedürfnisse anderer wegbügelt. Zumal, und jetzt sind wir wieder am Anfang des Gesprächs, wenn ich meine Mitarbeiter:innen wirklich sehe, mich für sie zuständig fühle, mich sorge, dann erkenne ich ihre Stärken und kann dafür sorgen, dass ihre einzigartigen Fähigkeiten zum Tragen kommen.

Andrea: Und damit hole ich mir den Schwung des „Ich tue, was ich kann“ in mein Unternehmen.

Anita: Genau. Und deswegen habe ich am Anfang gesagt, dass die vermeintlichen Schwächen unsere wahren Stärken sind, dass wir als Frauen also auch mal zurückstecken oder Kompromisse finden dürfen oder für etwas sorgen.

Andrea: Das finde ich jetzt sehr interessant, weil es ja der Frauenquote widerspricht. Wäre es also eine weibliche Stärke, sich ganz bewusst in einem Führungsteam sorgend in die zweite Reihe zu stellen und zu sagen: Du bist der Kämpfer, du bist der Vorausgänger, renn du mal mit den anderen. Und ich bleibe hier und bringe die Ideen, die Kontakte und pflege das Netzwerk?

Anita: Ja, ganz genau. Aber mit dem entscheidenden Unterschied zum jetzigen Vorgehen: Die Frau darf für diese Rolle nicht weniger verdienen als der Mann, der da draußen rennt. Beides ist gleich wichtig und muss gleich honoriert werden, denn er ist „da draußen“, kommt zurück und dann bespricht sich der König mit seiner Königin und fragt: Was soll ich tun? Sie berät und findet Lösungen und trotzdem ist er derjenige, der da draußen dann vielleicht das Machtwort spricht.

Andrea: Das heißt, die starken Frauen müssen nicht auf dem Thron, in die Vorstände, in die (einsamen) Spitzenpositionen. Was wir wirklich ändern müssen, ist unser Bild von Stärke und die Anerkennung, dass die weibliche Rolle – die zurückgenommen, die beratende Position in der zweiten Reihe – genauso wichtig ist wie die vorrennende und vorstehende Rolle.

Anita: Das ist es. Absolut klug, es wäre sehr klug. Ich glaube, dass wir Frauen, wenn wir uns etwas mehr zurücknehmen, besser unserer Intuition lauschen können und Inspirationen bekommen für zum Beispiel vollkommen neuartige Lösungsansätze oder Entwicklungen.

Andrea: Du hast eben gesagt, dass die Fähigkeit, seine Stärken zu entdecken auch sehr stark schon in der Kindheit angelegt wird, da würde ich gerne noch mal drauf eingehen, weil ich glaube, dass bei Mädchen der Horizont immer noch sehr viel niedriger gesteckt wird als bei Jungs. Jungs dürfen sich ausprobieren, dürfen mit kaputtgeschlagenen Knien, angestoßenem Kopf, kaputtem Fahrrad nach Hause kommen. Toll, ein Draufgänger, heißt es dann. Bei Mädchen heißt es immer noch eher – Lass das, das ist gefährlich.

Anita: Ich bin dafür, dass wir die Kinder einfach lassen – Jungen wie Mädchen – wenn sie den ganzen Tag malen wollen oder im Schlamm buddeln – einfach lassen, das ist das Wichtigste. Nicht daran hindern, wenn sie auf den Baum klettern wollen, aber da sein.

Andrea:“ Lassen“ also im Sinne eines unterstützenden „Du bist gut, wie du bist“. So entsteht Stärke.

Anita: Genau – einfach wachsen lassen, wie eine Pflanze, wir sind eben kein Spalierobst. Diese Bäume werden zurechtgeschnitten und die Zweige irgendwie an eine Halterungen gebunden, so dass man die Früchte gut ernten kann.

Andrea: Ein schönes Bild. Unsere Adoleszenz sorgt dafür, dass wir Spalierobst werden. Dabei sind wir eigentlich mächtige Bäume, die sich frei verzweigen wollen.

Anita: Stell dir mal einen Apfelbaum vor, wie wunderbar er sein kann, wenn er sich entwickeln darf, wie er will. Ich glaube, dass so ein Apfelbaum, der normal wächst, eigentlich viel mehr Äpfel trägt. Aber man kommt nicht so gut dran.

Andrea: An frei gewachsene Bäume kommt man nicht so gut dran – ich übersetze das jetzt mal: Sind starke Menschen anstrengender?

Anita: Ich glaube schon, dass es für eine Gesellschaft anspruchsvoller ist, wenn wir so viel Einzigartigkeit (er-)tragen müssten. Bleiben wir im Beispiel Schule: Habe ich eine Klasse, in der ein Lehrer vorsagt und alle sitzen in den Bänken und sprechen den Satz nach? Oder herrscht ein buntes Drumherum und die einen gehen über Tisch und Bänke, die anderen gucken nur verträumt aus dem Fenster und die nächsten sind am Tuscheln, weil Kommunikation ihre Stärke ist. Das ist kurzfristig viel anstrengender, aber wenn man es auf die Dauer eines Lebens betrachtet, dann hat der einzelne Mensch, wenn er mit der Schule fertig ist, momentan richtig viel Arbeit damit zu erkennen, wer er wirklich ist und was er machen möchte. Bis er dann in seine volle Produktivität kommt, kann es sein, dass er schon fünfzig Jahre alt ist, oder noch älter. Welch ein Verlust von Können und Wollen! Deswegen ist es unterm Strich effektiver, wenn wir individuelle Entwicklung von Beginn an unterstützen.

Andrea: Was könnte helfen auf diesem Weg?

Anita: Was, außer einer Bildungsreform, helfen könnte, ist ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ich glaube daran, dass wir intrinsisch motiviert sind, unseren Beitrag zu leisten. Eine sinnvolle Beschäftigung ist für ein gesundes Leben absolut notwendig. Wir könnten also darauf vertrauen, dass die Menschen mit einem Grundeinkommen schon ihren Beitrag bringen werden und nicht rumsitzen den ganzen Tag fernsehen. Aber sie müssten dann nicht mehr irgendetwas machen, um Geld zu verdienen.

Andrea: Sie könnten ihren Stern finden und sind nicht mehr dazu gezwungen irgendetwas zu tun, um abends Essen auf dem Tisch zu haben. Ich stelle mir vor, dass damit viel Kreativität und Energie frei würde, was ein unglaublicher Wachstumsschub für die Gesellschaft, für die Wirtschaft, aber auch für unser kollektives Bewusstsein wäre.

Anita: Ja, es entsteht viel Schwung, wenn ich etwas voller Energie mache, also von innen heraus, nicht, weil ich leben muss und deswegen meine Energie in einen ungewollten Job stecke.

Andrea: Diesen Kampf mit dem Widerstand gegen den ungeliebten Job benötigt all meine Energie: Ich muss den ganzen Tag etwas tun, wogegen ich zu hundert Prozent oder zu achtzig Prozent im Widerstand bin, ich stemme mich dagegen, alle Kraft fließt ins „dagegen sein“.

Anita: Tja, trotzdem ist das der Normalzustand – wie oft hört man „Oh Gott, schon wieder Montag, ich muss arbeiten“.

Andrea: Ja, das fällt mir auch oft auf und apropos “Oh Gott, Montag”. Ich sage jetzt mal „Oh Gott, Freitag“, weil wir schon am Ende unseres Gesprächs angekommen sind. Wie schade, aber ich finde, wir haben unglaublich tolle und wichtige Erkenntnisse gewonnen, über die Stärke der Freude am Tun und über die Stärke weiblicher Führungskraft in zweiter Reihe. Anita, ich danke dir ganz herzlich für dieses Gespräch.

Kontakt:

Anita Maas

https://maas-naturcoaching.de

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