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Kennt Ihr das Projekt „Starke Frauen“ noch nicht? Dann könnt Ihr Euch hier das Einführungsvideo (5 Minuten) ansehen oder es lesen.

(Hinweis: Wer das Videointerview mit Mareike schon gesehen hat, liest bitte direkt an der Stelle weiter, wo der Text wieder schwarz wird. Die grünen Zeilen sind eine Abschrift des Video-Interviews für alle, die lieber lesen als gucken.)

Hallo zusammen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer der Gespräche über Starke? Frauen. Ich bin heute mit der Journalistin und Übersetzerin Mareike Graepel verbunden, die eine von zehn professionellen Auslandskorrespondentinnen des Online-Magazins DEINE KORRESPONDENTIN  ist, das 2015 gegründet wurde, um die Sichtbarkeit von Frauen weltweit zu erhöhen. Aus allen Teilen der Welt erzählen die Korrespondentinnen Geschichten von inspirierenden Frauen. Mareike berichtet aus Irland und ist zudem Head of Partnerships des Magazins. Im Vorgespräch hat sie mir erzählt, dass die Korrespondentinnen unlängst im Team beschlossen haben, nicht mehr von „starken Frauen“ zu sprechen. Und das ist natürlich ein großartiger Einstieg für meine übliche erste Frage: Mareike, ihr sprecht nicht mehr von starken Frauen, aber ich mache das jetzt und frage: Was ist für dich eine starke Frau und warum nutzt ihr bei DEINE KORRESPONDENTIN diesen Begriff nicht mehr?

Mareike: Wir sprechen nicht mehr von „starken Frauen“, weil mit diesem Begriff immer einhergeht, dass es auch schwache Frauen gibt. Die Aussage vermittelt zudem, dass „starke Frauen“ nur eine kleine Gruppe sind oder dass sie besonders bemerkenswert sind. Wir wollen bei DEINE KORRESPONDENTIN sagen, dass alle Frauen bemerkenswert sind. Und wir wollen als Frauen gleichberechtigt in den deutschsprachigen Medien, also auch in Österreich und in der Schweiz, auftauchen, weil wir die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Trotzdem erscheinen Männer in den Medien viermal häufiger! Das darf einfach nicht sein und daher berichten wir über Frauen, die eine Geschichte zu erzählen haben. Über Frauen, die manchmal sogar aus einer vermeintlich schwachen Situation heraus eine starke Entscheidung tregeprägteffen. Wir sagen, dass wir von inspirierenden Frauen berichten, denn wir möchten gerne Frauen sichtbar machen, deren Geschichten andere Frauen inspirieren und motivieren.

Andrea: Wie bist du zu DEINE KORRESPONDENTIN gekommen?

Mareike: Ja, da schließt sich der Kreis so ein bisschen. Ich bin bei einer alleinerziehenden Mutter groß geworden, die für mich ganz lange das Vorbild einer starken Frau war. Meine Mutter hat viel Ina Deter gehört und immer gesagt, sie brauche keinen Mann, um Regale aufzubauen: „Ich bin ja selber eine starke Frau, ich kann alle Entscheidungen alleine treffen. Ich kann alleine mit meinem Kind zum Zelten fahren, ich brauche dafür nicht immer einen Mann an meiner Seite!“ Und diese Einstellung habe ich übernommen, habe mich zum Beispiel in der Schule nie darüber definiert, einen Freund zu haben. Ich wollte nie deswegen Jemand sein, weil da Jemand an meiner Seite ist. Ich wollte lieber eigenständig sein und auf Augenhöhe unterwegs sein, ganz automatisch, schon in meiner Jugend.

Andrea: Ist diese Einstellung so geblieben?

Mareike: Sie hat sich über die Jahre gewandelt. Ich bin in meinem Beruf, im Journalismus, ganz lange in Tageszeitungsredaktionen tätig gewesen, und die sind natürlich eine Männerdomäne. Auf den Sesseln der Chefredaktionen sitzen fast immer Männer – wir haben eine so geringe Anzahl an Chefredakteurinnen und Verlegerinnen. Ich bin da irgendwie reingewachsen und es hat lange Jahre gedauert, bis ich gemerkt habe: Moment mal, wir sind total eingefahren und ich dachte, ich bin eine starke Frau. Wo ist das hin? Jetzt bin ich seit 2017 selbstständig, ich habe zwei Töchter, 10 und 13 Jahre sind die beiden alt und ich merke, dass Stärke für mich etwas ganz anderes ist, als ich es früher definiert hätte. Stärke heißt nicht, immer alles zu schaffen und immer alles perfekt zu haben, weil das als berufstätige Frau und Mutter einfach gar nicht möglich ist. Manchmal ist es stärker, um Hilfe zu bitten oder anderen (und sich selbst) zu sagen: Ich schaff das gerade nicht. Jetzt ist das Geschirr eben ungespült und der Vorgarten ist nicht gemacht. Das ist aber für mich keine Schwäche mehr, sondern die Stärke, sich auf das zu konzentrieren, was mir wichtig ist: Ich habe einen Beruf und wichtige Themen, über die ich veröffentlichen möchte und es gibt wichtige Frauen, von denen ich berichten möchte. Und dann muss halt manches von dem, was unsere Gesellschaft und die Frauenmagazine als „starke Frau“ verkaufen, hinterfragt werden – das perfekte Haus, die perfekte Kleidung, der perfekte Körper – supersportlich – überall sind Frauen besonders stark und voller Power. Deswegen sagen meine Kolleginnen und ich, dass wir diese Art von Stärke nicht vermitteln möchten. Uns geht es für die Frauen darum, eigenständig und gleichberechtigt zu sein und manchmal auch sagen zu dürfen: Gerade bin ich mal kurz schwach und DAS ist auch eine Stärke!

Andrea: Das heißt, wenn ich es richtig höre, dann ist die Assoziation, die du mit einer „starken Frau“ verbindest vor allem das Bild, was von außen wahrnehmbar ist, egal wie’s drinnen aussieht?

Mareike: Ich glaube, da liegst du genau richtig. Mein Bild der „starken Frau“ ist eines, das die Gesellschaft ihr quasi aufgemalt hat. Weil die Gesellschaft so geprägt ist. In meinem Alltag, in meinem beruflichen Alltag, in meinem familiären Alltag, merke ich immer wieder, dass wir selbst mit großem Einsatz, Engagement und auch Verständnis sowie mit der Aufmerksamkeit meines Mannes immer wieder an die Grenzen stoßen, die uns in Gesellschaft und Beruf vorgesetzt werden. Deswegen glaube ich, dass dieses Bild der starken Frau, das ich habe, sehr stark gesellschaftlich geprägt ist.

Andrea: Und ihr seid mit dem Online-Format losgezogen, um dieses gesellschaftlich geprägte Bild der starken Frau ein bisschen neu zu gestalten. Ich habe auf eurer Internetseite folgendes Zitat gelesen: „DEINE KORRESPONDENTIN ist ein spannendes, preisgekröntes Format, gemeinschaftstragend, interaktiv und auf Gegenseitigkeit beruhend.“ Also, kam mir da direkt die Assoziation: typisch weiblich. Magst du ein bisschen über das Format und die Entstehungsgeschichte erzählen?

Mareike: Sehr gerne. DEINE KORRESPONDENTIN gibt es seit 2015. Unsere Chefredakteurin, Pauline Tillmann, war früher Korrespondentin für den ARD-Hörfunk, hat aus Russland und der Ukraine berichtet. Sie hatte bemerkt, wie viel häufiger in den deutschsprachigen Medien über Männer berichtet wird und wollte das ändern. Sie hat DEINE KORRESPONDENTIN gegründet, Kolleginnen aus verschiedenen Medien angesprochen und zu ihrem Netzwerk hinzugefügt. Jetzt sind wir zehn fest für das Portal tätige Korrespondentinnen aus der ganzen Welt und über 40 Gastautorinnen, also Kolleginnen, die gelegentlich einen Text liefern. Wir veröffentlichen jeden Mittwoch einen neuen Artikel, relativ lange Texte, sehr fundiert, sehr detailliert. Wir nehmen uns sehr viel Zeit, die Geschichte auch hinter der Geschichte zu beleuchten und wirklich aufmerksam auf die Ereignisse oder auf die Frauen und ihre Themen zu schauen.

Andrea: Wie ist die Zusammenarbeit im Redaktionsteam?

Mareike: Ich merke in der Zusammenarbeit mit den anderen Korrespondentinnen immer wieder, wie wohltuend es ist, dieses Netzwerk zu haben, wie spannend es ist, mit den Kolleginnen zusammenzuarbeiten, sich zuzuarbeiten. Wir machen – mal abseits des Pandemiegeschehens – auch Events, sind in Gleichstellungsstellen oder bei Ausstellungen zu Gast und treffen uns auch regelmäßig live mit Unterstützer:innen. Wir sind schon sehr nah dran an unserer Leserschaft, die übrigens zu einem Drittel aus männlichen Lesern besteht! Bei einer Veranstaltung des Deutschen Journalisten-Verbandes hat mich kürzlich jemand gefragt, ob es nicht ein bisschen viel wäre über so viele Themen – Business, Literatur, Kunst, Politik, Gewalt und so weiter – zu berichten. Na ja, habe ich geantwortet, wir berichten über all die Dinge, die alle Menschen interessieren – wie alle anderen Medien auch. Nur eben aus der weiblichen Perspektive. Und in unserer Zusammenarbeit sind wir in der Tat, wie hast du gerade so schön zitiert, ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Netzwerk. Wir stärken, empowern uns gegenseitig. Seit ich mich 2017 selbstständig gemacht habe, für „mich alleine kämpfe“, merke ich, dass ich in der Zusammenarbeit mit Frauen viel mehr schaffen kann. Ich bin viel motivierter und viel kreativer, habe viel weniger „Muffe“, wie man hier im Ruhrgebiet sagt, meine Themen zu präsentieren. Ich bin nicht mehr so leicht zu verunsichern und traue mir mehr zu, und das finde ich sehr bestärkend.

Andrea: Das finde ich allerdings auch sehr bestärkend! In der Zusammenarbeit mit Frauen kannst du viel mehr schaffen. Warum, glaubst du, ist das so?

Mareike: Ich habe vor einiger Zeit ein Interview mit Carolin Kebekus gesehen und sie hat erzählt, dass man ihr in ihrer Anfangszeit als Standup-Comedienne vorgeworfen habe, nur deshalb erfolgreich zu sein, weil sie die einzige Frau im Metier wäre und sie wolle auch gar keine andere Frau an ihrer Seite haben. Ihrer Meinung nach totaler Quatsch, so als würde ein Mario Barth oder Atze Schröder sagen, er wolle der einzige Mann am Comedy-Himmel sein. Es wird oft unterstellt, dass Frauen immer nur die Quotenfrau oder die eine Frau irgendwo sein können – in einer Redaktion, in einem Team oder in einem Projekt. Tatsächlich habe ich gemerkt, dass, wenn du dich darauf einlässt mit Frauen zusammenzuarbeiten und die Nähe zu suchen, plötzlich eine ganz andere Sprache gesprochen wird. Ich kommuniziere ganz anders, viel wärmer und herzlicher mit Frauen, viel weniger mit diesem strikten Businesston, den ich früher an den Tag gelegt habe. Und das Schöne ist – einmal erlebt, kann ich diese Art der Kommunikation jetzt auch im Umgang mit männlichen Kollegen einsetzen. Aber gelernt habe ich es erst durch die enge Zusammenarbeit mit Frauen.

Andrea: Gelernt authentischer zu sein?

Mareike: Ja, herzlicher und auch ehrlicher, tatsächlich. Ich sage mittlerweile ganz ehrlich und auch leichter ehrlich, wenn ich Termine mit der Familie habe. Ich sehe als Selbstständige meine familiäre und berufliche Zeit ineinander verwoben, ich gehe nicht um 08:00 Uhr ins Büro und komme um 17:00 Uhr nach Hause und nach mir die Sintflut. Das passiert in meinem Leben nicht. Und deswegen sage ich inzwischen meinen Kund:innen oder Auftraggeber:innen, wenn ich an einem Tag nicht kann, weil ich eine Verpflichtung meinen Kindern gegenüber habe. In der Zusammenarbeit mit Männern habe ich das oft vertuscht, habe mich nicht getraut zu sagen, dass ich eine Care-Aufgabe habe.

Andrea: Das heißt, du hast dich den Rollenerwartungen, von denen du dachtest, dass sie an dich als Frau in einer Männerrunde gestellt werden, gebeugt? Denn es ist ja wahrscheinlich nie ein Mann zu dir gekommen und hat gesagt: „Bitte, Frau Graepel, reden Sie aber nicht über Ihr Familienleben, das wollen wir nicht wissen“, oder?

Mareike: Ja, weil es natürlich in der Mehrzahl Männer waren am Konferenztisch, bei der Nachrichtenkonferenz mittags oder in Besprechungen. Und wenn die das alle nicht machen, dann macht frau das auch nicht.

Andrea: Weil es sonst unprofessionell wirkt, wenn sie das Familiäre, den familiären Hintergrund, aufscheinen lässt?

Mareike: Möglicherweise, ja.

Andrea: Frauen mit Familie sind unprofessionell…

Mareike: Also, das ist mir nie so direkt gesagt worden, aber ich bin so behandelt worden. Nach der Geburt meiner zweiten Tochter bin ich in den Verlag zurückgekehrt, in dem ich vorab in einer sehr verantwortungsvollen und spannenden Position war. Bei meiner Rückkehr sollte ich plötzlich in der Immobilienbeilage für PR-Texte zuständig sein. Ich habe mich entsetzlich gelangweilt, und weiß bis heute nicht, ob jemand gedacht hat, dass frau mit dem zweiten Kind das letzte Hirn beim Stillen rausgesaugt wird. Keine Ahnung, ich war eigentlich viel motivierter, aber je länger ich auf dem Abstellgleis war, desto mehr habe ich Dienst nach Vorschrift gemacht.

Andrea: Das wird dann irgendwann zur selbsterfüllenden Prophezeiung – weil man dir nichts zutraut, tust du auch nichts, weil du ja keine Herausforderungen hast. Also bestätigt sich die Annahme „Frau mit Kind bringt keine Leistung“ immer wieder selbst.

Mareike, Ja, tut es.

Andrea: Ich glaube, dieses Abstellgleis entsteht aus der Denke heraus, dass Mütter unzuverlässig sind, dass sie oft ausfallen, weil sie sich um kranke Kinder kümmern müssen, zum Beispiel. Also muss „man“ sie irgendwo parken, wo diese Ausfälle nicht schlimm sind.

Mareike: Ich weiß noch, dass ich in den letzten Monaten, bevor ich mich selbstständig gemacht habe, mal beim Redakteur nachgefragt hatte, ob ich ein bisschen mehr Homeoffice machen könne. Ich hatte da schon erste Kund:innen und wollte mein Tun besser vereinbaren können, vielleicht abends noch einen Text schreiben, oder telefonieren, während ich am Reitstall auf meine Tochter warte. Das war lange vor der Pandemie, lange bevor Firmen bemerkt haben, dass die Menschen auch sehr produktiv sein können, wenn sie nicht pendeln müssen und ohne ständig unter den Argusaugen der Vorgesetzten zu sein. Die Antwort damals war, dass der Chefredakteur diese Entscheidung betriebswirtschaftlich nicht verantworten könne, weil er mir ja nicht vertrauen könne, dass ich meine Arbeit wirklich leiste. Das war dann der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Andrea: Ab dann war Dienst nach Vorschrift, wie du eben gesagt hast?

Mareike: Ja, ich habe nicht eine Zeile mehr gemacht, als ich musste. Man muss sich wirklich mal überlegen, wieviel Produktivität und Kreativität auf diesem Weg verloren geht: Als ich in den verantwortungsvollen Positionen war, habe ich freiwillig so viele Überstunden gemacht, einfach, weil ich meinen Job so geliebt habe. Ich liebe es, mit Menschen zu sprechen und über sie zu berichten, auch jetzt in der Selbstständigkeit hänge ich mich wieder richtig rein. Eigentlich war es vor allem zum Schaden des Verlegers, der Perlen vor die Säue geworfen hat, einfach akzeptiert hat, dass meine Motivation komplett den Bach runtergeht.

Andrea: Da sind wir bei einem interessanten Spannungsfeld angekommen. Ich beobachte in der Arbeitswelt auf der einen Seite die fast schon verzweifelten Bemühungen, über Gleichstellung und Quote mehr Frauen in den Job zu kriegen und auf der anderen Seite die „alten“ Glaubenssätze oder Muster der patriarchalen Arbeitswelt, die diese Bemühungen sofort wieder zunichtemachen. Daraus ergibt sich für mich die Frage: Was würden Frauen denn wirklich benötigen, um in der Arbeitswelt an ihre Stärke heranzukommen?

Mareike: In einem Gespräch mit der Chefin des Starter-Centers hier in der Region habe ich erfahren, dass sehr viele Frauen sich selbstständig machen und ein kleines Unternehmen gründen, um flexibler zu sein. Das ist das große Stichwort: Flexibilität. Frauen sind schon in der Lage, 740 Bälle in der Luft zu halten und zu jonglieren. Wenn uns diese Jonglage erlaubt wird, dann setzen wir sie auch gerne im beruflichen Alltag ein – machen noch schnell den einen Termin, führen am Freitag noch ein Gespräch, weil es unser Thema ist, unsere Geschichte. Wenn wir in unserer Arbeitswelt, in unserer Gesellschaft, die Flexibilität, die Frauen sowieso schon mitbringen, voranbringen und fördern, dann können wir so viel mehr Energien nutzen und so viel mehr erreichen!

Andrea: Woher kommt diese Flexibilität?

Mareike: Ich glaube, wir Frauen versuchen immer, unser Leben mit dem Job in Verbindung zu bringen. Bei vielen Männern habe ich den Eindruck, dass mit dem Job der Tunnelblick einsetzt. Im Büro nur Arbeit und dann nach Hause fahren und nur zuhause sein. Das ist ein großes Problem – im Job sind sie gut, das haben sie studiert, da sind sie Experte. Und zuhause? Da sollen sie irgendwie auch noch mitmachen und wissen nicht, was los ist, weil es gar keine Vorbereitung darauf gab. Wie viele Jahre hat denn der durchschnittliche Mann gelernt, Teil der Familie und auf gleicher Augenhöhe zu sein? Ich sehe das auch bei meinem Mann, der Ingenieur ist und es – obwohl ihm unsere Gleichberechtigung sehr wichtig ist – in diesem sehr männlich geprägten Umfeld nicht über sich bringt zu sagen, dass er an einem Meeting nicht teilnehmen kann, weil er dafür zuständig ist, die Kinder abzuholen. Da ist wenig Wandel zu sehen, weil so viele Menschen in dieser patriarchalischen Gesellschaft noch in den klassischen Strukturen festhängen und das wird noch viele, lange Jahre so bleiben.

Andrea: Was können Menschen tun, die die Veränderung voranbringen möchten?

Mareike: Sich diese Rollenkonflikte vergegenwärtigen, immer wieder. Wichtig für mich war die Erkenntnis, dass ich ja nicht unschuldig daran bin, wenn wir uns manchmal festfahren. Ich hab´s ja über die Jahre auch einschleichen lassen und erst ganz allmählich gemerkt – Hey, ich möchte auch gerne mehr arbeiten, meine Themen haben, eine berühmte Rockband interviewen oder die Konzernchefin. Und so ein Termin ist genauso wichtig wie die Kundenmeetings. Wir Frauen sollten das selber sehen und uns nicht situativ in Jobs drängen lassen, die irgendwie leichter und unkomplizierter und machbarer sind – neben der Familie – wo wir dann aber unser Fähigkeiten nicht mehr voll ausnutzen können. Gerade in der Pandemie haben viele Frauen scheinbar – #tradwife – entdeckt, wie schön es ist, die traditionelle Ehefrau zu geben, und den ganzen Tag mit den Kindern nur Kuchen und Muffins backen.

Andrea: Hast du Beispiele im Bekanntenkreis, die das tatsächlich aus den Corona-Maßnahmen heraus entschlossen haben?

Mareike: Meine engsten Freundinnen, also meine Bubble, sind alle Frauen, die extrem gerne arbeiten und ihren Beruf lieben, aber ich habe schon wahrgenommen, dass in anderen Runden plötzlich wieder mehr über Backrezepte gesprochen wird. Das sind allerdings auch meistens Frauen, die in Beziehungen festhängen, die sich nicht trennen trotz der Erkenntnis, dass sie ja nur ein Leben haben und gerne ihren eigenen Weg gehen möchten. Hier höre ich dann das Argument – Mareike, leicht gesagt, aber viele Frauen können sich das einfach nicht leisten. Da schrillen bei mir alle Alarmglocken! Wie schrecklich ist es, dass Frauen in Beziehungen bleiben, weil sie es sich nicht leisten können, alleine zu leben und auf eigenen Füßen zu stehen, weil sie durch die Kinder und die Care-Arbeit aus dem Berufsleben komplett ausgestiegen sind.

Andrea: Frauen, die sich so eingerichtet haben in einer Rolle, bis es eben nur noch in den Strukturen funktioniert, in denen es bis dato funktioniert hat.

Mareike: In der Abhängigkeit.

Andrea: Ja, dieses Thema Abhängigkeit. Das passt zu etwas, das du eben gesagt hast, was ich ganz spannend fand. Du sagtest, es sei für dich sehr wichtig, dass dein Tun in der familiären Situation als gleich wichtig, gleichwertig angesehen wird, dass dein Interview mit der Rockband genauso wichtig ist wie das Kundengespräch deines Mannes. Ich möchte da nochmal nachhaken, weil das etwas ist, was ich in ganz vielen der Gespräche über Starke? Frauen gehört habe. Was wäre, wenn dieses Problem der Gleichwertigkeit keines der Männer wäre, sondern unser eigenes? Stellen wir unser Licht selbst immer wieder und viel zu sehr unter den Scheffel und externalisieren das Problem dann: „DU nimmst mich nicht wichtig!“?

Mareike: Ja, das ist eine gute Frage. (lacht) Wir haben ganz oft echten Struggle hier, weil ich immer wieder sagen muss: Hey, meine Arbeit ist auch wichtig, ihr könnt hier nicht einfach reinlatschen. Aber ich suggeriere natürlich auch immer wieder durch mein Tun, dass meine Familie sich diese Ungleichheit herausnehmen kann, denn ich fange sie ja immer wieder auf. Mein Mann weiß, dass er sich darauf verlassen kann, dass die Kinder in jedem Fall überall pünktlich sein werden, solange ich hier im Haus bin; dass das Essen auf dem Tisch steht und er einfach mittags aus seinem Homeoffice herauskommen und sich an den Tisch setzen kann. Ich glaube, du hast da wirklich Recht und es ist eine Frage, die mich unangenehm berührt, weil sie Selbstreflexion erfordert. Ich muss da auf mich selbst schauen und nicht einfach den anderen sagen „Ich hätte gerne …“. F*** den Konjunktiv. Der Satz muss lauten: „Ich arbeite jetzt. Das ist eine Tatsache und da wird nicht gestört.“ Ja, es ist so, dass wir Frauen uns ganz automatisch immer noch zurückstellen oder Aufgaben einfach erledigen, damit sie in unserem Sinne erledigt sind, damit die Kinder auch etwas Gesundes zu essen haben und nicht jeden Tag Nudeln oder Pizza. Also ich für meinen Teil würde den Konjunktiv gerne abschaffen.

Andrea: Die Aussage ändern von „Ich hätte gerne, dass meine Arbeit hier genauso wichtig gesehen wird“ zu „Ich sehe, dass meine Arbeit genauso wichtig ist.“

Mareike: Mhm, ja.

Andrea: Und dazu kommt ja noch der „mental load“, den du gerade geschildert hast – du hast immer im Auge, wann die Kinder abgeholt werden müssen, wann das Essen auf den Tisch kommt. Das ist wieder die oben erwähnte Flexibilität, frau fährt immer auf mehreren Gleisen parallel. Dahingehend fand ich übrigens ganz interessant, was du vorhin gesagt hast, dass nämlich die meisten Männer nie gelernt hätten, in familiären Strukturen zu agieren, in denen Männer selbstverständlich mit anpacken, auf Augenhöhe sind. Wenn jetzt langsam die Lern- und Rollenbeispiele kommen – siehst du eine Veränderung in deiner Generation oder in den jüngeren?

Mareike: Ja, da verändert sich etwas oder es hat sich schon viel verändert, auf jeden Fall. Es ist viel selbstverständlicher, dass Väter im Kindergarten Schultüten basteln oder einfach zu bestimmten Zeiten die Kinder abholen oder mit zum Fußballtraining (auch der Töchter) fahren. Wir können die Betreuung der Kinder und vor allem die Nähe zu den Kindern viel häufiger bei den Vätern sehen.

Andrea: Wer erinnert die Väter daran, dass das Fußballtraining heute ist?

Mareike: Hm, ja. Darüber haben wir gestern noch gesprochen und mein Mann wollte wissen, was eigentlich so schlimm daran ist, wenn ich ihn daran erinnere, was noch erledigt werden muss. Es geht mir darum, dass das Thema dann aus meinem Kopf nicht raus ist. Ich wünsche mir, dass mein Kopf manchmal einfach von all diesen organisatorischen Dingen leer ist, dass da einfach so ein weißes Feld ist. Aber wenn wir von tatsächlichen Rollenvorbildern sprechen, muss mensch ja auch sehen, dass die Väter von heute meist noch sehr traditionelle Elternrollen erlebt haben. Und wenn sie Männer kannten, die nicht der klassischen Struktur entsprachen, dann waren das Hippies oder Alternative, mit so einem irgendwie weichen Touch. Dass das Dasein für die Familie cool ist und dass man da richtig punkten kann, diese Haltung müssen wir dem Rollenbild noch zuschreiben und das machen manche Männer tatsächlich gerade. Zum Beispiel kann ich wunderbar auf Dienstreise nach Irland gehen, was ich ja oft mache, und muss mich nicht sorgen, dass meine Kinder verhungern oder verloren gehen. Das klappt hier ganz wunderbar.

Andrea: Aha, interessant – wenn du weg bist, klappt es trotzdem?

Mareike: Ja, erstaunlich, oder? (lacht) Auf die Entfernung kann ich auch loslassen. Aber was ich zum Thema Rollenvorbilder noch erwähnenswert finde, ist die Perspektive der Generationen, die nach uns kommen. Meine Tochter, 13 Jahre alt, spielt begeistert Fußball und ich hatte ihr letztens erzählt, dass in Irland die Fußballerinnen genauso viel Gehalt bekommen, wie ihre männlichen Kollegen, weil diese festgestellt hatten, es könne nicht sein, dass die Kolleginnen weniger verdienen, obwohl sie den gleichen Sport machen, die gleichen Spiele spielen. Und auf diese Geschichte hin stellten die Mädchen aus dem Team meiner Tochter fest, dass es in Deutschland aber natürlich ganz anders sei, die Fußballerinnen berechtigterweise weniger Geld verdienten, weil sie ja auch einen ganz anderen Fußball spielten, irgendwie nicht so wichtig. Bitte? Moment mal? Ich finde es fatal, wenn solche Klischees sich schon bei den Jüngeren verfestigt haben, es für die ganz selbstverständlich ist, dass Männer mehr Geld verdienen als Frauen? Nein! Ist es nicht! Warum?

Andrea: Warum halten sich solche Klischees so lange? Hast du eine Idee?

Mareike: Ich glaube, das führt uns nochmal zurück zu der Frage, die du vorhin gestellt hast, zum Selbstverständnis – auf beiden Seiten. Männer treten selbstsicherer auf und Frauen stellen ihr Licht per se eher unter den Scheffel. Wenn ein Mann bei einer Jobausschreibung zehn von neun Kriterien nicht erfüllt, bewirbt er sich trotzdem als der tolle Hecht. Wenn eine Frau von den zehn Anforderungen nur eine nicht erfüllt, wird sie sich eher nicht bewerben. Völlig verrückt. Männer verkaufen sich besser, verhandeln besser und – ja! – Honorarverhandlungen sind schwierig, ich empfinde das auch so, aber das ist eben etwas, das wir alle lernen müssen: Lauter sagen, dass wir toll sind und was wir verdienen. Nämlich angemessenes Geld, Respekt und Gleichberechtigung.

Andrea: Und damit komm ich zu einer Kernfrage, die mir immer wieder begegnet, in vielen meiner Gespräche und die auch schon eine der Fragen war, mit denen ich dieses Projekt gestartet habe: Ist es jetzt die gesellschaftliche oder unternehmerische oder feministische Aufgabe, die Frauen dahin zu trainieren, dass sie sich gefälligst mehr zutrauen? So wie wir eben auch überlegt haben, ob du für die Gleichberechtigung deines Jobs selber einstehen musst. Ist es also vielleicht sogar unsere Aufgabe als Frau (noch eine Aufgabe!), uns dahin zu trainieren, in diesem bestehenden System gleichwertig zu funktionieren? Oder ist es nicht eher eine gesamtgesellschaftliche, systemische Aufgabe, gleichwertigen Platz für beide Herangehensweisen an das Leben – die vorpreschende und die zurückhaltende, die stille und die laute, die männliche und die weibliche – anzubieten? Ich komm da nicht weiter, ich habe selber keine Antwort auf diese Frage. Was sagst du?

Mareike: Ich glaube, es gibt keine einfache Antwort, weil es da kein Schwarz oder Weiß gibt. Manche Frauen würden gerne mehr wollen – schon wieder der Konjunktiv! – und kommen aus ihrer Situation alleine nicht einfach so raus. Die benötigen ein Netzwerk, müssen sehen und hören, dass andere Frauen schon die ersten Schritte gegangen sind, die sie dann mitgehen können – nicht hinterhergehen. Und es wird immer Frauen geben, die zumindest sagen, dass sie das nicht brauchen und ganz zufrieden sind mit dem, was sie haben und wie sie sind. Und dann kann ich keiner Frau vorschreiben, sie müsse noch ein Studium machen oder sich auf den High-potential-Job bewerben, natürlich nicht. Aber ich finde die Möglichkeit, aus einer unbefriedigenden Situation herauszukommen, die muss es immer gegeben und die sollte die Gesellschaft gemeinsam anbieten, Männer wie Frauen und alle anderen Geschlechter und Identitäten natürlich zusammen.

Andrea: Also eine gemeinschaftliche Aufgabe, in der jede/r sich seine Rolle und seine Haltung vornimmt und dann aktiv wird?

Mareike: Ja, auf jeden Fall alle und aus ihrem Horizont heraus, denn ich glaube, dass wir durch den Begriff Feministin ganz viele ausschließen. Ich sage mittlerweile lieber Equalist:innen, weil ich gerne die Männer einbeziehen möchte, denn wir können es nicht alleine, selbst wenn alle Frauen auf der Welt plötzlich alles anders machen. Wenn wir das nicht mit den Männern und der Männerwelt gemeinsam hinbekommen, dann schaffen wir keine echte Veränderung.

Andrea: Welche Botschaft würdest du an die Männer aussenden, damit sie verstehen, dass es ihre gesellschaftliche Aufgabe ist, Equalisten zu sein?

Mareike: Dazu möchte ich gerne Alison Hewson, die Frau von Bono (U2) zitieren. Bono hat einmal vom Frauenmagazin Glamour den „Woman-of-the-year-award“ erhalten und diesen Anlass genutzt, um sie zu fragen, was ein Feminist eigentlich ist und ob er, Bono, denn einer wäre, ob er auf dem richtigen Weg seie. Und in der Ansprache zum Preis hat Bono dann seine Frau und seine Töchter zitiert, sie hätten zu ihm gesagt, er wäre noch ganz am Anfang, aber immerhin schon mal losgegangen. Und seine Ehefrau, mit der er schon seit ihrer gemeinsamen Jugend zusammen ist, habe ergänzt: „Siehst du, ich habe dir immer gesagt, ich möchte nicht, dass du auf mich hinunter schaust und ich möchte nicht, dass du zu mir herauf schaust. Ich möchte nicht vergöttert werden und ich möchte nicht herablassend behandelt werden. Ich möchte mit dir am Tisch sitzen, dir gegenüber und dir direkt in die Augen schauen können. Immer.“ Ich glaube, wenn alle Männer ihre Partnerinnen so betrachten würden – egal ob sie berühmt und besserverdienend sind oder nicht, dann hätten wir viel erreicht. Wenn wir auf Augenhöhe gemeinsam Dinge entscheiden und besprechen, was nicht einfach ist, sicher nicht, aber wenn wir DAS schaffen, dann sind wir auf einem guten Weg.

Andrea: Das hat mich jetzt gerade sehr berührt, ein sehr schönes Zitat und eigentlich auch schon die perfekten Schlussworte von dir, liebe Mareike. Durch das Gesagte wurde mir wieder einmal klar, wieviel Verständnisarbeit wir gesellschaftlich noch zu leisten haben und vor allem, dass diese Arbeit bei (und mit) allen Menschen stattfinden wird. Ich glaube, dass ihr mit DEINE KORRESPONDENTIN einen wertvollen Beitrag leistet – an ganz vielen Stellen und würde mich natürlich freuen, wenn es mein Projekt, die Gespräche über Starke? Frauen, auch schafft, ein paar Menschen nachdenklich zu machen.

Abschließend noch drei Buchtipps von Mareike (und es ist absoluter Zufall, dass zwei der Autorinnen auch Mareike mit Vornamen heißen 😊)

Die Wut, die bleibt von Mareike Fallwickel

Das Unwohlsein der modernen Mutter von Mareice Kaiser

Du Wunder von Anne Klesse

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Mareike Graepel

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