Zwischen zwei Paradigmen, zwei Weltsichten, zwei Narrativen finden wir den Raum des Sowohl-als-auch. Sobald wir diesen Raum mit Lust und Neugier betreten, dort nicht gegen etwas kämpfen oder mit Gewalt zu etwas hindrängen, können wir diesen Raum mit einem Bild, einer gemeinsamen Vision von einer besseren Zukunft gestalten. Uns für Veränderung gemeinsam stark machen und Samen sähen. Aus diesen Samen wächst vielleicht ein Halm und ein Kornfeld entsteht, das alsbald den ganzen Horizont füllt, sanft in Wind und Sonne weht und den Raum des Nichtwissens bereichert mit einer Ahnung von dem, was möglich sein könnte.

Die Welt ist eine Scheibe

Ein Paradigma besteht so lange, wie es die Realität von vielen Menschen prägt. Die Welt war lange Zeit eine Scheibe, jetzt ist sie rund. (Gut, auch heute noch nicht für alle, was ich sehr spannend finde.) Die „regelbasierte Weltordnung“ besteht so lange, bis immer mehr Menschen hinterfragen, wer eigentlich diese Regeln machen darf. Kennzeichnend für unsere Zeit scheint zu sein, dass sich die Geschichten, die wir uns über unsere Welt erzählen, immer schneller verändern. Das Innovationstempo steigt im gleichen Maße wie das Informationstempo und wir sind irgendwo – mittendrin. Mitsamt unserer eigenen Geschichten. Und fühlen uns, mit Verlaub, bescheiden. Denn – was ist jetzt wahr, was soll ich glauben? Wo ist mein alter Orientierungsrahmen, den mir Eltern, Schule, Chefin, Hausarzt und Politik immer geboten haben? Er ist weg. Das genau ist der Paradigmenwechsel. Wir sind auf dem Sprung in ein neues Verständnis, das vielen noch Angst bereitet und das wirklich schwer zu denken und umzusetzen ist. Jetzt entsteht eine große Unsicherheit, verständlicherweise. Wir versuchen uns an Gewohntem festzuhalten und suchen Sicherheit, suchen die klaren Kategorien wiederzufinden, mit denen früher alles besser war. Feindbilder zum Beispiel sind dafür super, wir erleben das gerade überall auf der Welt.

Viele von uns …

Viele von uns bleiben aus Bequemlichkeit und Angst im bekannten Narrativ stecken, leben noch in einer Kultur des Entweder-oder. Es kann nur Schwarz oder Weiß geben, wenn meine Meinung richtig ist, muss deine falsch sein. Was aber wäre, wenn Sowohl-als-auch Teil des neuen Paradigma sein würde und wenn – wie die integrale Theorie von Ken Wilber es sagt, jeder ein bisschen Recht hätte? Dann gäbe es plötzlich kein universales „Richtig“ mehr und Milliarden Einzelmeinungen ergäben eine Wahrheit. Letztens entdeckte ich dazu einen Vergleich mit dem Facettenauge einer Fliege, den ich sehr passend finde. Die vielen Facetten des Auges sehen einzeln jeweils einen anderen Ausschnitt – nur wenn alle Bilder zusammenkommen, ergeben sie das ganze Bild. Im neuen Paradigma verstehen wir, dass die zunehmende Komplexität der erlebten Welt diese Milliarden Facetten benötigt, um das Gesamtbild auch nur ansatzweise zu verstehen.

Viele von uns tragen in sich den Wunsch, die „alten“ Geschichten zu überwinden, die auf Konkurrenz, Ausbeutung, Gewinnmaximierung und Unterdrückung basieren, die Trennung als Grundgedanken setzen, den Planten zerstören. Gleichzeitig fürchten wir zutiefst den leeren Raum des Nichtwissens, der durchquert werden muss, bevor etwas Neues entstehen kann. Er bringt den Verlust von Vertrautem mit sich, Unsicherheit, Ambiguitität und die Einladung, sich einen völlig neuen, eigenen Bezugsrahmen aus sich selbst heraus schaffen zu müssen.

Viele von uns sind gerade dabei. Wir merken, dass unsere Wahrheit in den gängigen Geschichten nicht mehr vorkommt – finden unsere gelebte und erlebte Realität nicht in dem wieder, was uns Politik und Medien berichten. Vielleicht fühlen wir uns zunächst gezwungen, neue Informationsquellen oder Bezugsrahmen zu schaffen. Vielleicht öffnen wir uns aber auch schrittweise der Einsicht, dass wir selbst, unser SELBST, unser wichtigster und einziger Bezugsrahmen ist.

Tanzen in Graswurzeln

Viele von uns machen sich mithilfe dieses Bezugsrahmens auf den Weg zu etwas Neuem. Sie haben den Mut, den Raum des Nichtwissens mit Hilfe ihrer Ideen oder mit einem klaren Bild von einer besseren Zukunft im Herzen zu überwinden. Vielleicht ist es nur ein Gefühl, das schwer zu beschreiben ist, eine Intuition, ein Ruf … Was diese Menschen oder Bewegungen eint, ist ihre Bereitwilligkeit, sich über geltende Regeln und Normen hinweg zu setzen. Nicht, um dagegen zu sein oder Widerstand zu leisten, sondern weil das eigene Richtig den Weg sehr klar vorgibt. Angetrieben durch die Motivation zur Veränderung, finden diese Menschen in ihrer Vision den Handlungsantrieb, der ein starkes Ich hervorbringt, das meist Teil eines starken Wir wird, weil Mut und Begeisterung einladend sind. Dieses eigenverantwortliche, selbstreferenzielle Handlungsprinzip, das ich gerade beschreibe, ist das Grundprinzip der Graswurzelbewegungen, die wir weltweit erleben können, wenn wir die Augen öffnen. Gemeinschaften entstehen ganz leicht, das ist der Vorteil unserer Zeit, in der neue Technologien die Möglichmacher für eine schnelle Vernetzung und Bewegung sind. Schön finde ich in diesem Zusammenhang den Vergleich mit einer leeren Tanzfläche, die sich schnell füllt, wenn die ersten tanzbegeisterten Menschen beginnen, alleine zu tanzen. Wenn nur einige vorgehen, dann wird sich der Raum des Sowohl-als-auch schnell füllen – mit mutigen, neugierigen, offenen, begeisterten, zweifelnden, suchenden … mit ganz normalen Menschen. (In meiner Erinnerung sind es übrigens meistens Frauen, die diesen beherzten ersten Schritt auf die Tanzfläche machen und einfach mal selbstvergessen lostanzen.)

Tanzt du mit? Magst du mutig sein und einen Raum des Sowohl-als-auch mit mir gestalten? Dann schau doch mal auf meine Workshops, dort öffne ich immer wieder Wir-Räume, in denen wir neue Geschichten erzählen.