Hier auf meiner Webseite findet sich der Satz: Meine Kernkompetenz ist nicht das Schreiben. Das können Sie mit ein bisschen Übung genauso gut. Ja, bin ich denn von allen guten Geistern verlassen? Als Texterin zu behaupten, ich beherrschte mein Handwerk nicht? Hm. Kommt drauf an. Fragen wir mal anders: Was ist mein Handwerk, wenn es nicht „Schreiben“ oder „Texten“ ist?

Mein Handwerk: Ich bin Ideensucherin

In guten Texten steckt immer eine gute Idee. Und diese Idee zu finden, das ist mein Handwerk. Der wichtigste Schritt zu einem guten Text ist daher nicht der erste Satz auf dem weißen Papier. Der wichtigste Schritt ist vorher getan: Mit Nachdenken, Nachfragen, Nachfassen … Gemeinsam mit meinen Kunden finde ich heraus, was wir schreiben wollen, warum und für wen. Schreiben ist ein Weg und, anders als bei Konfuzius, selten das Ziel. Also muss das Ziel vorher bekannt sein. Und dann planen wir die Route – die schönste, kürzeste, bunteste, interessanteste. Der gute Texter weiß: Viele Wege führen nach Rom, aber man kann Rom in ganz unterschiedlichen Stimmungen erreichen. Was soll der von mir gewählte Weg, mein Text, beim Leser auslösen? Welche Gefühle, welche Handlung? Und mit welchen Stories, Argumenten, Versprechen oder Zitaten erreiche ich dieses Ziel. UND ESSENZIELL: Was davon ist für den Empfänger spannend und nicht für mich, den Absender?

Sinn und Sinnlichkeit in Texten

Um sie geht es beim Texten, um die Leser: Gute Texte machen etwas mit ihnen, sie verändern sie – machen fröhlicher, klüger, oder helfen, eine (Kauf-)Entscheidung zu treffen. Sie sprechen die Leser mit all ihren Sinnen an. Zum Beispiel wenn wir einen Urlaubsort beschreiben – „Schauen Sie sich das blaue Meer und die weißen Segel der schnittigen Bötchen an, riechen Sie den typischen Geruch von Pinien, Meersalz und Sonnencreme und fühlen Sie die warme Sonne und die leichte Brise auf Ihrer Haut.“ Mit einer Botschaft an die visuellen, auditiven, olfaktorischen oder kinesiologischen Wahrnehmungen können unsere Texte zu Botschaften für alle Sinne werden. Wie ein gutes Buch.

Nutzen und Persönlichkeit

Sind Ratgeber wie „10-Schritte-zum-guten-Text“ hilfreich? Hier erfährt man, dass ein aktiver Schreibstil den Leser einbindet, Füllwörter überflüssig sind und dass Schachtelsätze den Leser verwirren. Das ist alles richtig. Aber die Anwendung dieser Finessen macht noch keinen guten Text. Sie macht nur einen schlechten Text lesbar. Nutzen und Persönlichkeit sind die entscheidenden Unterschiede.

Mit Nutzen meine ich genau das oben Beschriebene: Ein guter Text „macht etwas mit mir“. Deswegen haben Texter bei ihrer Arbeit eine Zielgruppe, die sie bedienen und schneiden die Texte genau auf diese Zielgruppe und ihren Nutzen zu. „One-to-many“ hat ausgedient, wir schreiben Texte für echte Leser. Manchmal kann es sogar hilfreich sein, sich den Leser / den Kunden ganz genau vorzustellen, ich zum Beispiel schreibe manchmal für meine Freundin Barbara oder für meine Kollegin Christiane.

Persönlichkeit ist noch wichtiger. Zumindest, wenn es um Texte geht, die im Entferntesten mit Dir und Deiner Marke zu tun haben. Und das kann ein 200-Zeichen-Tweet sein oder ein Buch. Ein eigener, unverwechselbarer Stil ist das Unterscheidungskriterium in einer Zeit, in der containerweise Content in den sozialen Medien sehnsüchtig darauf wartet, zum viralen Hit zu werden.

Ideen entwickeln

Alles schön und gut – aber woher nehmen wir die Ideen, den Nutzen und den persönlichen Stil? Dafür gibt es jede Menge Kreativtechniken, aber im Wesentlichen sind es die alten Kulturtechniken: Nachdenken und Zuhören. Sich intensiv mit der Fragestellung beschäftigen, so lange bis etwas dabei herauskommt. Das ist eigentlich schon alles. Geduld, Spucke oder, wenn man die nicht hat, gute Dienstleister mit ebendiesen Eigenschaften.
Mal ganz ehrlich: Im Internet ist jeder ein Schriftsteller und das führt dazu, dass viele – die meisten – Texte todlangweilig sind. Sie sind weder neu noch nützlich und auch nicht gut zu lesen. Alle Produkte sind innovativ, alle Unternehmen sind kundenorientiert und versprechen Mehrwert. Bullshit-Bingo, austauschbar. Merksatz: Wenn ein Satz von Deiner Webseite oder aus Deiner Broschüre genau so bei der Konkurrenz stehen könnte, streiche ihn. Schreib ihn neu. Bitte!

Und da ich diesen Text in Spanien schreibe, möchte ich mit einem Zitat enden, das dem spanischen Schriftsteller Enrique Jardiel Poncela zugeschrieben wird: «Wenn etwas einfach zu lesen ist, war es schwer zu schreiben.» Anders gesagt – einer wird es immer schwer haben mit dem Text – entweder der Absender oder der Empfänger. Was ist Dir lieber?

Amateure warten auf Inspiration – Profis setzen sich hin und arbeiten. Vamos!