„Ich bin momentan ein Stausee“ – diese Bemerkung habe ich letzte Woche von Johanna Tiefenbeck geschenkt bekommen. Ihre Metapher beschreibt auf den Punkt, was momentan viele Menschen fühlen und wofür Johanna sonst viele Sätze benötigt hätte: Ich kann mich nicht frei bewegen, bin fremdbestimmt, habe keinen Austausch, keinen Zufluss an frischen Impulsen, ich bin eingemauert, eingekesselt, trockne langsam aus… Das zumindest war die Assoziationskette, die ihr berührendes Bild bei mir ausgelöst hat.

Ist das nicht unglaublich – ein einzelnes Wort lässt diese ganze Bedeutungswelt fließen! Und es setzt auch eine Kaskade von Gefühlen frei. Mein Körper hat auf den „Stausee“ unmittelbar reagiert – mit Gefühlen von Enge und Trennung. Metaphern wirken! Sie sind wunderschöne Wortbilder und viel, viel mehr als ein textuelles Stilmittel. Sie treffen mitten ins Herz – mit einer Metapher umgehe ich den Weg der linken rationalen Gehirnhälfte und steuere sofort das Fühlen an. Metaphern sind ein luxuriöses Geschenk an alle, die ihre Gefühle ausdrücken möchten, denn sie übersetzten eine Botschaft in eine bildhafte, fühlbare Sprache – als Wort, als Satz oder sogar als kleine Geschichte. Fabeln zum Bespiel sind auch eine Art Metapher, denn sie transportieren eine inhaltliche Bedeutung, die über die reine Ratio der Worte hinausgeht. Metaphern benötigen keine Erklärung, sie sprechen für sich – die Leser oder Zuhörerinnen erschließen sich die Bedeutung selbst. So könnte jemand im „Stausee“ auch Sicherheit sehen, weil der See für Trinkwasserversorgung steht. Dann würde die Metapher vielleicht ein ganz anderes Gefühl auslösen.

Gewürz in der Textspeise

Deswegen ist Metaphern-Arbeit für uns Schreibende eine Kunst – wie male ich mit meinen Worten ein Bild, das genau die gefühlsmäßige Bedeutung vermittelt, die ich an dieser Stelle auslösen möchte? Wie schaffe ich es, mein Wortbild so zu gestalten, das es wirkt? Denn nur wenn Metaphern wirken, sorgen sie dafür, dass ein Text leichter ist und einprägsamer, unter die Haut geht und Leser mitfühlen lässt. Wenn eine Metapher jedoch schwer zu entschlüsseln oder mehrdeutig ist, ist sie natürlich negativ für das Textverständnis. Außerdem sind Metaphern die Gewürze in der Textspeise – zuviel davon macht das Ganze ungenießbar. Wenn ich als Leserin nur noch damit beschäftigt bin, Bilder zu sortieren und ihre Bedeutung gefühlsmäßig zu erfassen, dann wird es anstrengend. Aber keine Scheu, der richtige Gebrauch von Metaphern lässt sich üben und ein paar Tipps dazu habe ich Euch am Ende des Beitrags zusammengestellt.

Ein bisschen Theorie (könnt Ihr auch auslassen)

Was ist eine Metapher? Wenn man es genau nimmt und im engsten Sinne der Sprachwissenschaft argumentiert, dann ist eine Metapher eine Bedeutungsübertragung – ein Begriff oder eine Beschreibung überträgt die Bedeutung von einem Konzept auf ein anderes – beide bedeuten dasselbe. „Das Ährenmeer zu meinen Füßen“. „Die Mauer des Schweigens“. „Das gebrochene Herz“. „Der Stein begann zu rollen“, „sich einen Ast lachen“, „jemanden abblitzen lassen“ … und so weiter.

Wollten wir also „Korinthen kacken“, dann wäre ein „…wie…“-Vergleich keine Metapher, weil er nur eine Bedeutungsverbindung herstellt. „Der Himmel am späten Nachmittag blühte für einen Moment im Fenster wie der blaue Honig des Mittelmeers.“ (Aus „Der große Gatsby“.) So wäre also der Satz „Das Meer lag still wie ein Stausee“ keine Metapher, sondern sprachwissenschaftlich ein „Simile“. Ich möchte aber in diesem Beitrag nicht auf die engen Regeln der figurativen Sprache eingehen, sondern auf die großen, weiten und generellen Möglichkeiten der Arbeit mit Bildern, die wir beim Schreiben oder Sprechen malen können. Mir geht es nicht darum, figurative Mittel zu unterscheiden, sondern aufzuzeigen, dass eine bildhafte Sprache im Bauch wirkt, nicht im Kopf. Sie macht den Leser vom Beobachter zum Mitfühler und nur darum geht es.

Starke Bilder für das ICH

Nicht nur für Schreibende ist die Arbeit mit Metaphern bereichernd. Weil die Wortbilder uns direkt mit unserer Gefühlswelt verknüpfen, ist ihr Einsatz ein Geschenk für die Arbeit mit dem Unbewussten oder dem Unterbewussten. Wenn wir die Gefühle zulassen, die Metaphern in uns auslösen, dann aktivieren wir unsere rechte Gehirnhälfte, den kreativen, intuitiven und globalen Prozess des Gewahrwerdens. Wir stärken die Verbindung von Körper und Geist und schaffen uns eine neue, tiefere Ebene, auf der wir Sachverhalte nicht nur erkennen, sondern „begreifen“, also mit den Sinnen erfassen können. Außerdem öffnen Metaphern den Zugang zu einer ganz wertvollen Ressource – dem Mitgefühl, der Empathie. Sie helfen uns, Erfahrungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Indem wir die oben beschriebene Bedeutungsübertragung oder -verbindung herstellen, lassen wir ganz automatisch neue Bedeutungen und Betrachtungsweisen zu. Unser Blick wird weiter, offener und wir finden ziemlich sicher neue Lösungen für alte Probleme.

Wie funktioniert das?

Wir begreifen das Sprachbild genau wie Musik oder ein Kunstwerk direkt über die körperliche Erfahrung – wir durchdringen, erspüren das Konzept förmlich. Möglich machen das die Spiegelneuronen in dem Gehirnareal, das u.a. für die Sprache zuständig ist. Wenn ich aktuellere Veröffentlichungen richtig deute, dann ist die Wissenschaft immer noch dabei, die Spiegelneuronen zu entdecken und zu begreifen. Momentan erklärt man die Wirkweise von Metaphern und Co. folgendermaßen: Unsere Spiegelneuronen lassen uns direkt mitfühlen. Wenn ich sehe, wie ein Mensch einen anderen berührt, dann aktivieren sich bei mir Prozesse, als würde ich selbst berührt. Was mit Menschen funktioniert, klappt scheinbar auch mit Worten: Wir erfühlen die Bedeutungsverwandschaft und können uns in ein Konzept, in einen Menschen oder in unsere eigene Gefühlswelt besser hineinversetzen. Siri Hustvedt beschreibt es in ihrem Buch Die Illusion der Gewissheit als „verkörperte Simulation“ (Seite 334)

Was mache ich jetzt damit?

In den letzten Absätzen wollte ich Dir zeigen, das Metaphern eine ganz großartige Technik sind – sowohl für Autorinnen als auch für die Arbeit mit dem „Ich“. Wenn Du jetzt neugierig geworden bist, und Metaphern häufiger in Deinen Texten einsetzen möchtest oder Metaphern-Arbeit nutzen möchtest, um Deine Gefühle besser auszudrücken, dann sind die folgenden Übungen vielleicht etwas für Dich.

Übung 1 – Grundlagenarbeit

Achte künftig beim Lesen oder Zuhören auf bildhafte Redewendungen und notiere sie zusammen mit dem Bedeutungszusammenhang, den Du ihnen gibst und dem Gefühl, das sie in Dir auslösen. Das kann man auch gemeinsam in einer Schreibgruppe machen und vielleicht erstaunt feststellen, wie unterschiedlich manchmal die Bedeutungen und Gefühle sind. Achtung – hier gibt es kein „richtig“ oder „falsch“!

Übung 2 – spielerischer Umgang

Verändere gebräuchliche Metaphern durch Umstellung oder Ersetzung – Beispiel: Den Berg in Rollen bringen, den Fuß ins Feuer legen, sich dackelwohl fühlen … und so weiter (Übung aus dem Buch „Lehrbuch des kreativen Schreibens“ von Lutz v. Werder, Seite 100) Nimm Dir zum Beispiel vor, jeden Tag drei Metaphern zu finden und umzuschreiben, nutze diese wilden Gebilde auch ab und zu einfach so im Alltag, zur Freude deines Umfelds.

Übung 3 – Metaphern-Arbeit:

Versuche immer öfter, Deine Gefühle in ein Bild zu übersetzten, wie zum Beispiel der „Stausee“ am Anfang dieses Textes. Das gelingt anfangs am besten über das freie Assoziieren oder auch über das intuitive Schreiben. Diese Techniken funktionieren auch, wenn Du auf der Suche nach einem Wortbild für eine bestimmte Szene bist – irgendwann hast Du Deine Metapher. Probiere diese dann am besten mal an ein paar „Testfühlern“ aus – löst Dein Bild die gewünschten Verbindungen aus? Vielleicht könnt Ihr sonst zusammen noch ein bisschen nachjustieren. Co-kreativ geht alles leichter, auch die Arbeit mit Metaphern.

Viel Spaß beim Malen und schick mir gerne Deine schönsten Metaphern, dann eröffnen wir hier eine Galerie.

PS: Das Bild zu diesem Blog ist natürlich kein Stausee, sondern der Tegernsee. Es ist aber so ein schönes Bild, das mein Mann bei seiner Bodensee-Königssee-Radtour im letzten Sommer gemacht hat.