Fehler machen ist doof. Es fühlt sich unangenehm an, irgendwie nach Misserfolg, nach Scheitern. Vielleicht steht da auch noch jemand und weist uns auf den Fehler hin – schimpft sogar mit uns? Falls nicht, erledigen wir das gerne selbst, wir motzen und zürnen: Auf das Schicksal, auf uns selbst oder – am liebsten – auf all die anderen, die diesen vermeintlichen Fehler verursacht haben.

Was ist eigentlich ein Fehler?

Es gibt allerdings einen eleganten Ausweg aus der Misere des mutmaßlichen Fehlverhaltens: Wir könnten einfach aufhören Fehler zu machen. Jetzt sofort, das geht ganz einfach, wir machen das mit einem Trick, der auch in der Politik und der Wirtschaft prima funktioniert – wir nehmen einfach ein anderes Wort, und schon ist der Fehler kein Fehler mehr, sondern eine Erfahrung. (Reframing nennt man das und weitere Beispiele für diesen Trick sind zum Beispiel „Verteidigungsministerium“ oder „Gesundheitskasse“ …) Hinter dieser durchaus nicht ironisch gemeinten Einladung, Fehler in Erfahrungen (die man ja dann nicht mehr zweimal machen muss, weil man daraus lernt) umzutaufen, steckt eine ernste und wirklich entscheidende Frage: Wer bestimmt eigentlich, was ein Fehler ist?

Wenn wir uns diese Frage ganz bewusst vornehmen, sie genießen und auf der Zunge zergehen lassen, dann wird uns eines schnell klar: Ein Fehler beruht immer auf einem Urteil – über mich, über andere. Und er beruht vor allem auf unserer klassischen Konditionierung, die ganz früh beginnt. Da ist ein Elternteil, ein Kindergärtner oder eine Lehrerin und sagt: „Das hast du fein gemacht!“ oder „Das machst du falsch.“ Unsere gesamte Adoleszenz ist geprägt von diesem „falsch“ und „richtig“ und uns wird schnell klar, dass „falsch“ schlecht ist und sanktioniert wird, während „richtig“ gut ist, dann bekomme ich ein Eis oder ein freundliches Lächeln. Es ist eine einbetonierte Verbindung: Es gibt einen richtigen Weg zum Ziel, der ist gut und es gibt einen falschen Weg, und der ist schlecht und – meistens – bin ich dann auch schlecht oder fühle mich schlecht – siehe oben. Wozu führt diese Konditionierung? Letztlich zu unserem gesellschaftlichen Verständnis von Erfolg (gut) und Misserfolg (schlecht). Daraus entsteht eine Erwartungshaltung, an sich und an andere. Erfolg ist, wenn alles so läuft, wie ich es erwartet habe. Misserfolg ist demzufolge das Unerwartete, das Spontane, das, was sich plötzlich zeigt. „Das habe ich mir jetzt anders vorgestellt“, sagen wir und finden es blöd. Aber genau dieses Spontane, Unerwartete ist die Grundlage von Kreativität und Wachstum: Leben ist Entwicklung, nicht Erwartung.

Dem Entstehenden Raum geben

Viel wird gerade von Komplexität gesprochen, weil unsere Welt immer schneller und globaler wird, Zusammenhänge immer vielschichtiger, verflochtener und unübersichtlicher. Deswegen benötigen wir in den Unternehmen, in den Projekten aber auch für uns selbst und unser eigenes „gutes“ Leben die Fähigkeit, mit dem Unerwarteten umzugehen. Man muss vielleicht nicht so weit gehen wie Byron Katie und prinzipiell „lieben, was ist“ – aber wenn wir es schaffen, dem jetzt gerade Entstehenden seinen Raum zu geben, dann werden wir davon profitieren: Aus Fehlern werden Türöffner für neue Welten.

Das Gegenteil dieses Mitfließens in der Akzeptanz des gerade Geschehenden ist eine Erwartungshaltung, die ein bestimmtes Ziel und/oder ein Projektende in den Mittelpunkt stellt. Wir tun etwas, wir stoßen etwas an und haben die Erwartung, irgendwann an ein Ende zu kommen, an dem wir uns zurücklehnen können und sagen: „So, jetzt ist es schön.“ Wir durchlaufen einen Prozess und am Ende steht – ja – ein Ende. (Ende gut, alles gut.) Mit dieser Haltung schränken wir uns letztlich selbst ein, denn während wir stur nach vorne schauen, übersehen wir all die tausend Pfade, die jeden Moment auf dem Weg zum Ziel abzweigen. Wachstum ist ewige Zielanpassung. Das heißt, wohlgemerkt, nicht, das wir keine Ziele mehr haben sollten. Im Gegenteil. Aber wenn wir dieses Ziel (Reframing!) nicht mehr als Erwartungshaltung und „Soll“ formulieren, sondern nur als vorläufige Idee, dann entsteht etwas ganz Wertvolles: Raum für Neues. Die Idee könnte also sein, den Weg anders zu gehen. Wir haben das formulierte Ziel vor Augen und machen uns auf den Weg, aber gleichzeitig sehen wir die Umgebung und die unendlich vielen anderen Wege, die sie uns präsentiert. Ein Baum liegt über der Straße – klettere ich darüber und setze den Weg fort oder sehe ich diese Sperre als Einladung und biege rechts ab, auch weil dort am Horizont eine schöne Wiese zu sehen ist. Fühlt Ihr den Unterschied? Auf der einen Seite ein starres Verfolgen eines einmal eingeschlagenen Kurses, auf der anderen Seite die dynamische Haltung des Wachsens und Werdens. Diese Dynamik kennen wir aus der Natur, aus deren Kreislauf der Erneuerung und des Vergehens. Wir kennen sie aus einem Ökosystem, das keinen Platz für Fehler lässt, weil alles, was entsteht, gewollt, gut und sinnvoll ist, weil es einen Betrag leistet, zu dem was ist und damit zu dem was wird.

Inspiration – mal was anderes machen

Zu diesem Blogbeitrag hat mich übrigens eine spannende Unterhaltung inspiriert, die sich unter den Teilnehmer*innen des Inspiring Morning entspannte, nachdem Joscha Wirtz das Projekt „Meffis“ vorgestellt hatte, in dem Stadtmacher*innen mitten in Aachen einen Kreativraum schaffen, der Kunst und Kultur eine neue Gemeinschaft bieten soll. Es war ein Gespräch mit erstaunlicher Tiefe. Erstaunlich vor allem, wenn man bedenkt, dass wir alle uns schon um 7.45 Uhr vor den Bildschirmen versammelt hatten, um per Zoom den inspirierenden Morgenimpuls mit in den Tag zu nehmen. Für mich sind diese frühen Treffen etwas ganz Besonderes, Neues, Unerwartetes, Ungewöhnliches. Sie entsprechen nicht meinem normalen Vorgehen, in den Tag zu starten. Aber sind sie deswegen ein Fehler? Sicher nicht!