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Kennt Ihr das Projekt „Starke Frauen“ noch nicht? Dann könnt Ihr Euch hier das Einführungsvideo (5 Minuten) ansehen oder es lesen.

(Hinweis: Wer das Videointerview mit Heike schon gesehen hat, liest bitte direkt an der Stelle weiter, wo der Text wieder schwarz wird. Die grünen Zeilen sind eine Abschrift des Video-Interviews für alle, die lieber lesen als gucken)

Liebe Leserinnen und Leser, die ihr jetzt Zuschauer und Zuschauerinnen seid, aber das habe ich euch ja jetzt schon ein paarmal erzählt. Wir sind heute in der nächsten Folge zum Thema „starke Frauen“ und ich habe mich hier online getroffen mit Heike Albert. Heike ist MBSR-Trainerin und unterrichtet Lachyoga. (www.achtsamkeitundlachen.de) MBSR – mindfulness based stress reduction – vermittelt Achtsamkeitsmethoden, die uns einladen, den gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen. Lachyoga erscheint zunächst vielleicht als Gegensatz zu MBSR, aber eigentlich ist Lachyoga eine Art Sofortmeditation, weil wir beim Lachen ganz bei uns sind, wir haben dann keine Gedanken. Von daher sind MBSR und Lachyoga ganz ideal in der Kombination: beide helfen bei der Bewältigung von Stress, sie unterstützen uns in der Selbstwahrnehmung und stärken unser Selbstvertrauen und das beides – denke ich – ist was ganz Tolles für starke Frauen. Damit sind wir schon bei der ersten Frage – liebe Heike, was macht eine starke Frau aus, für dich?

Heike Albert: Ich finde es gar nicht einfach, diese Frage zu beantworten, ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht und irgendwie kam immer die Antwort: Eine starke Frau ist eine Frau, die ihre Bedürfnisse wahrnimmt, entsprechend lebt, die sich gestattet auch mal schwach zu sein.

Andrea: Also eine Frau, die bewusst wahrnimmt was sie braucht und sich gestattet innerhalb dieses Wahrnehmens auch anzuerkennen: Jetzt bin ich gerade schwach. Habe ich das richtig verstanden?

Heike: Ja, genauso. Genau so empfinde ich das. Mir fällt gerade eine Situation ein und ein Satz von meiner Enkelin. Die Situation ist viele Jahre her, ich war noch voll in der Familienphase, zwei Kinder, berufstätig in der Erwachsenenbildung und auch sonst recht aktiv. Eines Samstagnachmittags stand eigentlich das Fitnessstudio auf dem Programm und ich merkte dann – „och nö, nicht wirklich, keine Lust.“ Aber ich bin von meiner Erziehung her so geeicht, dass ich auch mit dem Kopf unter dem Arm meinen Pflichten nachgehe. Nun ist das Fitnessstudio ja eine selbstauferlegte Pflicht gewesen, was also tun? Ich habe damals einfach meinen Körper gefragt: Körper, was willst DU jetzt wirklich?“ Als Antwort kam: „Hinlegen, schlafen.“ Und dann habe ich mich hingelegt und geschlafen, das war, rückblickend, meine erste Berührung mit der Achtsamkeit. Interessanterweise hört meine Enkeltochter – 7 Jahre alt – auch auf ihren Körper. Sie war in einer Ferienfreizeit, wo vieles geboten wurde, es war sehr spannend für sie. Ich habe sie nach der ersten Woche gefragt: „Das klingt ja toll, gehst du nächste Woche wieder?“ Und da sagt sie: „Nein, mein Körper will das nicht.“ Ist das nicht toll? Dasselbe Kind sagte mir übrigens als Vierjährige: „Wenn man weiter weg ist, sieht man die Dinge besser.“

Andrea: Wow!

Heike: Ja, genau, wow, das habe ich auch gedacht. Kinder leben intuitiv, was wir im Achtsamkeitstraining üben. Wir beobachten: „Was ist gerade in mir? Was spüre ich im Körper, was im Geist, wie fühle ich mich gerade?“ Und durch das Beobachten schaffen wir eine Distanz, einen Abstand, wir sind weiter weg und erkennen viel eher, was gerade angezeigt ist. Ich glaube, dass diese Art wahrzunehmen ein ganz wesentliches Merkmal von starken Menschen ist – starken Frauen auch, ja. Es ist ein ganz anderes „stark sein“ als das der Pflichterfüllung, also: „Du musst auf Biegen und Brechen das erreichen, was du dir vorgenommen hast. Nein, es ist viel wichtiger in sich hineinzufühlen und mitzubekommen was jetzt, in diesem Moment, ansteht. Und wenn das eine Pause ist, dann ist das eine Pause. Pausen sind extrem wichtig –kreative Menschen wussten das immer schon – in der Pause kann sich die Kreativität entfalten, in der Pause können Lösungen für Probleme kommen. Oder, besser, Lösungen für Situationen, die wir als Probleme betrachten.

Andrea: Du verstehst Stärke also nicht als das, was sich erst mal aufdrängt, Durchsetzungsvermögen, Ellenbogen, sondern fast schon als das Gegenteil? Stärke entsteht eher durch das weiche, wahrnehmende, durch das Zulassen dessen was gerade ist, im Moment?

Heike: Ja, ganz genau. Und wo du gerade „Ellenbogen“ sagst: Wir leben in einer Ellenbogengesellschaft, ich bin so groß geworden, ich habe sie früher auch durchaus eingesetzt. Ich bin aber davon weggekommen, weil ich merke, dass es mir mit einem anderen Weg viel besser geht – statt steinhart eher wasserweich. Wasser fließt, Wasser geht mit dem was ist, Wasser findet seinen Weg, auch um Hindernisse herum. Und natürlich – wie jedes „Zuviel“ kann Wasser auch immensen Schaden anrichten, wie wir jetzt gerade schmerzlich erfahren haben. Aber wenn wir uns einen Bach anschauen, der munter springt, dann ist der für mich ein Sinnbild des inneren Kindes, dem wir zum Beispiel im Lachyoga ermöglichen, sich auszudrücken, sich richtiggehend auszutoben. Genau das alles, denke ich, gehört zu einer starken Frau. Sie gibt sich selbst die Erlaubnis, all das zu leben, was sie gerade in sich spürt. Natürlich situationsangemessen, das ist klar, aber wann immer es möglich ist, sollten wir unsere Bedürfnisse nicht unterdrücken, sondern sie – genau wie die eigenen Ansichten – klar, laut und deutlich vertreten.

Andrea: Uns auch ein bisschen unabhängig machen vom Außen, von der Meinung anderer?

Heike: Ja, unbedingt. Die eigene Reflexion gehört natürlich mit dazu, es geht darum, sich verschiedene Meinungen anzuhören und für sich selbst zu evaluieren, mit welcher Meinung man gehen kann. Das kann sich durchaus auch mal ändern, natürlich, ich kann im Außen Impulse bekommen, die meine Meinung wieder ändern. Auch das finde ich ein wichtiges Attribut starker Frauen: Statt auf der Meinung, die ich seit 10 Jahren habe zu beharren mir die Freiheit einer Veränderung einzuräumen – alles ändert sich ständig, warum nicht meine Meinung?

Andrea: Wir bekommen neue Impulse und gehen weiter – so im Sinne von: Der Weg ist das Ziel? Wenn ich starr geradeaus laufe, dann verpasse ich die schönsten Aussichten rechts und links, und wenn ich starr bei meiner Meinung bleibe, dann verpasse ich vielleicht Wachstum, Begegnungen, Leben?

Heike: Ja. Man sagt zwar „der Weg ist das Ziel“ aber letztlich gibt es ja kein Ziel im Leben, es gibt nur den Weg. Und eigentlich gibt es den auch nicht, er entwickelt sich erst mit jedem Schritt, den ich gehe, mit jeder Entscheidung, die ich treffe. Und diesen Weg zu ertasten und sich zu erlauben, ihn zu gehen, also dem zu folgen, was mein Inneres sagt, das ist überhaupt nicht so einfach, denn das Innere sagt ja ständig vieles (lacht), unter Umständen auch gegensätzliches, sodass man durchaus ambivalent ist. Diesen Zustand kenne ich sehr gut. Dann ist es ratsam, nicht vorschnell zu handeln, sondern sich Zeit zu geben, sich nicht drängen zu lassen, ich denke, dass das ganz wichtig ist für eine starke Frau.

Andrea: Eine starke Frau / einen starken Menschen – wir merken schon beide, es ist oft schwer zu unterscheiden. Wenn wir über starke Frauen sprechen, dann schließen wir oft alle anderen Wesen um uns herum ein.

Andrea: Heike, du hast gerade gesagt, dass es teilweise sehr schwierig sei, auf sein Inneres zu hören, weil dessen Stimme so ambivalent ist. Hilft uns die Achtsamkeit zu unterscheiden, ob da gerade alte Muster oder Glaubenssätze sprechen oder wirklich meine Intuition, meine innere Stimme?

Heike: Unbedingt. Es ist ein Lernprozess, das zu unterscheiden und es ist ein Lernprozess, sich von den – ich sag mal bewusst – falschen Stimmen Stück für Stück zu befreien. Wir alle sind geprägt von der Art und Weise wie wir sozialisiert wurden und das vernebelt ein bisschen das Eigene. Ich hatte da Glück – ich war immer schon sehr „eigen-sinnig“. Ich halte es da gerne mit Hermann Hesse, der sagt, dass es gut ist, eigen-sinnig zu sein, also einen eigenen Sinn zu haben, den eigenen Sinnen zu trauen. Für mich bedeutet das auch, viel über die Welt zu wissen und viel über dieses Wissen nachzudenken, viel mit Menschen und ihren Ansichten in Kontakt zu kommen. Dafür sind meine Achtsamkeitskurse eine wunderbare Gelegenheit, hier ergibt sich fast automatisch eine tiefere Kontaktebene, wo man nicht über die Nachrichten oder den Alltag spricht. Deswegen bin ich übrigens auch Lach-Telefonistin. Durch das Lachen mit wildfremden Menschen, entsteht eine Ebene, auf der man sich von Mensch zu Mensch begegnen kann, weil wir dort, auf dieser Ebene, in der Essenz, vollkommen gleich sind.

Andrea: Was erlebt ihr, du und die Anrufer, bei so einem Lachtelefonat?

Heike: Etwas Großartiges, schon allein, weil sie sich zum Lachen aufraffen wollen, obwohl ihnen vielleicht mehr nach Weinen zumute ist. Und wenn wir gemeinsam vorsichtig probieren, stellen ganz viele fest, dass Lachen so viel schöner ist als Weinen.

Andrea: Vielleicht geht es im Hinblick auf Stärke auch darum, sich selbst die Erlaubnis zu geben, das zu leben, was gerade da ist? Zu lachen, zu weinen … – nichts zu erzwingen, zu erkämpfen, sondern zu erlauben? Wir verbinden Stärke so oft mit Kampf, mit Widerstand, mit Trennung, aber nach dem was du gerade beschrieben hast, ist Stärke das genaue Gegenteil: Es ist Verbindung – zum Beispiel über das Lachen – und die Rückführung auf die Essenz, in der wir sowieso alle verbunden sind.

Heike: Vielleicht ist es genau das, was Stärke ausmacht. Ich habe auch ein Problem mit der „starken Frau“ als Gegensatz zu irgendwas, weil ich immer mehr wegkomme von Geschlechterkategorien, überhaupt von Kategorien. Warum muss sich momentan (gefühlt) jede/r outen – als homo, als bi, als transgender, als „divers“? Ich musste in meinem ganzen Leben nie sagen, dass ich hetero bin. Ein Mensch ist, wie ein Mensch eben ist. Und Stärke ist für mich, dieses Sein anzunehmen und im Bezug zu diesem Menschen zu merken, wie oder was er ist. Letztlich wollen wir Menschen doch alle das Gleiche – ein schönes Leben, lieben und geliebt werden, keinen Hunger leiden, keinen Durst. Ich mag das Bild von einem Text, den ich milliardenfach ausdrucke – in verschiedensten Schriftarten, Schriftgrößen und Farben, fett, kursiv – egal. Aber der Text bleibt immer derselbe, nur die Form ist anders.

Andrea: Das ist ein schönes Beispiel, es lädt uns ein, hinter die Form zu schauen, auf den Text, die Essenz. So kommen wir weg von den Etiketten, die wir uns aufkleben. Meist haben wir doch schon, bevor wir mit jemandem das erste Wort gewechselt haben, diesem Menschen 20 oder 30 Etiketten verpasst.

Heike: Ja, lass uns mehr spüren, was gerade da ist. Und dann entscheide ich als Mensch, ob ich dem folge oder nicht. Das gilt für mich übrigens auch für Regelungen, die von außen gesetzt werden, aber ganz besonders geht es mir um das Erspüren des Moments. Und dann kann Stärke auch durchaus mal etwas Rigoroses annehmen, zum Beispiel wenn´s darum geht das Kind oder das Enkelkind zu schützen.

Andrea: Du sprichst von Rigorosität, Stärke hat in Bezug auf Weiblichkeit also auch etwas Schützendes?

Heike: Unbedingt, das weiß jede Frau, die auf Kinder aufpasst – sie wird zur Löwin, wenn sie das Kind in Gefahr wittert, da kann sie dann auch über sich hinweggehen. Wobei – ich habe es oben schon gesagt – ich dieses „über sich hinweggehen“ als riesengroße Gefahr sehe. Erkältung? Egal, ab zur Arbeit. Und dann wird aus der Erkältung aber eine Grippe. Ich muss als Mensch immer neu entscheiden, welchem Impuls ich folge. Über sich und seine Bedürfnisse hinweggehen ist kein Zeichen von Stärke, im Gegenteil. Stark wäre hier zu sagen „Sorry, jetzt geht nichts mehr, erst muss der Körper sich erholen, dann kann ich meine Pflichten erfüllen.“ Stärke beruht auf der Kunst „Nein“ zu sagen.

Andrea: Da wären wir natürlich in einer ganz anderen Welt, in einer ganz anderen Arbeitswelt, in der es Menschen gestattet wäre, den Bedürfnissen ihres Körpers zu folgen und vielleicht mitten in einem Meeting mal drei Minuten auf dem Boden zu liegen.

Heike: Aber warum denn nicht? Ich habe sowas mal gemacht. Es war ein heißer Sommer, wir hatten ein Meeting mit unserer neuen Chefin in einem viel zu kleinen Raum mit viel zu vielen Menschen und dann haben wir auch noch überzogen. Mir ging es schlecht, ich vertrage Hitze nicht gut. Das alles habe ich ausgesprochen und gesagt „Ich muss jetzt gehen, sonst fall ich um“. Und dann bin ich gegangen. Da ist dann erst mal Irritation, sicherlich, aber die Menschen merken sehr schnell, was dahinter steht. Da ist ein Mensch, der für sich einsteht, es geht nicht um „abwimmeln“ oder um Machtdemonstration.

Andrea: Ach ja, diese Machtspielchen in Zusammenhang mit Präsenz gibt´s ja oft – ich lass den anderen warten, ich bin mächtig(er).

Heike: Das hat mit Stärke nichts zu tun …

Andrea: … eher mit dem Gegenteil, würde ich sagen.

Heike: So ein Verhalten resultiert vielleicht aus einem ganz kleinen „Ich“, das sich ein bisschen größer machen möchte. Die Geschichte ist voll von solchen kleinen „Ichs“, meist sind es sogenannte starke Männer. Aber was haben die Männer denn gemacht? Sie haben Kriege geführt, ist das stark? Ich finde, den Frieden zu lieben ist viel eher ein Zeichen von Stärke. Sich für ihn einzusetzen. Draufhauen kann jeder, aber zu einem Konsens zu kommen, in Frieden, das erfordert Stärke.

Andrea: Das heißt, du siehst in der geschichtlichen Darstellung der männlichen Stärke die des Kampfes, des Revierverhaltens, des um sich greifenden Wachstums, die weibliche Stärke wäre in dieser Sicht dagegen das Friedenbewahrende, Konsenssuchende, Einigende?

Heike: Ja, es ist die Kraft der Verbindung die stärkt, und zwar uns als Menschen. Auch Verbindung ermöglicht Wachstum, aber von innen heraus. Meine Aufgabe als Mensch ist es ja, mich zu entwickeln. Mich als Mensch zu entwickeln, heißt aber nicht mein Ego durchzudrücken. Letztlich ist das Ego nur eine Ebene, auf der wir existieren. Es geht darum, unsere gemeinsame Ebene zu erkennen und zu versuchen, mehr und mehr von dieser Ebene aus zu interagieren und dabei viel mehr Menschen mitzunehmen und in ihre Stärke zu bringen.

Andrea: Diese Ebene, von der du jetzt sprichst, das ist die Ebene der Verbindung, unsere gemeinsame Essenz, der oben erwähnte „Text“?

Heike: Ganz genau. Auf der Ebene des Ego sind wir getrennte Subjekte. Ich bin ein Individuum, du bist eins. Aber – schau doch mal hin: „In-dividuum“ heißt „nicht trennbar“. Es sieht also nur so aus, als wären wir getrennt. Wir sind wie Eisberge und wir sehen in der Regel nur die Spitzen, aber auf einer anderen Ebene ist alles verbunden und diese Basis ist viel größer als die Spitzen. Wenn man das nicht erkennt, geht man unter – wie die Titanic. Kennst du den Begriff „woodwide web“? Wir wissen mittlerweile, dass alle Bäume eines Waldes miteinander verbunden sind, sie stärken und helfen sich gegenseitig. Das ist Leben, sich gegenseitig stärken!

Andrea: Brauchen wir ein „world-women-web“?

Heike: Ja, schön, aber das ist mir zu einseitig, ich möchte die Männer nicht ausschließen, lieber ein world-people-web.

Andrea: Ja, das verstehe ich. Wir tun uns ja schon die ganze Zeit schwer, über die „starke Frau“ zu reden, weil diese Formulierung immer den Gegensatz einlädt – die starke Frau im Gegensatz zum …. Mann. Und ich bemerke die ganze Zeit deine Bestrebung, aus diesem trennenden Gegensatz in etwas Verbindendes zu kommen. Und vielleicht ist es das, was wir quasi als Übergang benötigen: Die verbindende Kraft der Frauen, um zur Weltgemeinschaft der Menschen zu kommen? Aus diesem Gedanken könnte meine nächste Frage resultieren – welche Frauen brauchen wir gerade? Sind die, die wir mit Frauenquote und Diversity-Management sichtbar machen, die richtigen?

Heike: Ich sehe es wie von dir beschrieben, wir brauchen das Verbindende, das Weiche, das Verständnisvolle, Liebevolle, das, was uns alle als Menschen vereint. Ich habe einen Sohn und ich habe einen Enkelsohn. Diese beiden haben mich gelehrt, Männer zu verstehen. Im Prinzip ist da kein Unterschied zu den Mädchen – als Baby schreien sie und als kleines Kind weinen sie. Und wenn sie Glück haben, können Männer wie Frauen auch als Erwachsene noch weinen. Aber auf der anderen Seite müssen wir einer Wahrheit ins Auge schauen: Männer und Frauen werden niemals gleich sein, das hat die Natur anders vorgesehen – es sind und bleiben die Frauen, die Kinder kriegen und wenn Frauen Kinder haben, sind sie eingeschränkt. Das ist so! Schwangerschaft, Geburt, die starke Bindung zum Kind – im Normalfall – sie sind eingeschränkt, zumindest, wenn wir uns auf die Berufstätigkeit beziehen. Und wenn aktuell Männer mehr Verantwortung in der Familie übernehmen, na gut, dann ist halt der Mann eingeschränkt, dann bleibt der bei den Kindern, und die Frau geht raus und macht. Das ist ein großes Dilemma, das wir nur bewältigen können, wenn wir nicht Gleichheit oder Gleichmacherei anstreben, sondern Gleichberechtigung im wahrsten Wortsinn. Und eine Frauenquote? Ich weiß nicht – ich würde mich als Quotenfrau außerordentlich unwohl fühlen, als Lückenbüßerin, die nicht wirklich für ihre Fähigkeiten, ihre Kompetenzen ausgewählt wurde. Das kann es nicht sein, es ist ein Versuch, es ist ein Hilfskonstrukt.

Andrea: Du sagtest eben, Frauen und Männer werden niemals gleich sein, Frauen bekommen Kinder, sind dadurch eingeschränkt, oder der Mann bleibt zuhause, dann ist der eingeschränkt. Ich frage mich, beziehungsweise ich frage jetzt dich, ist diese Einschränkung nicht etwas, das wir nur in unserer aktuellen Situation und Arbeitswelt so empfinden? Kinder sind eine Einschränkung – ist das nicht völliger Humbug?

Heike: Die Einschränkung bezieht sich tatsächlich auf das Berufsleben und es kommt darauf an, wie man das Verhältnis zu den Kindern sieht. In der ehemaligen DDR war keine Frau beruflich eingeschränkt, die haben die Kinder gekriegt, haben sie in eine Krippe geschafft und sind arbeiten gegangen. Das geht auch – aber kriege ich Kinder, damit die in einer Krippe großgezogen werden? Ich hatte den Anspruch, meine Kinder nicht nur in die Welt zu setzen, sondern sie durch diese Welt zu begleiten, bis sie selbstständig sind. Und – was wäre ich ohne meine Kinder? Durch sie habe ich doch erst gelernt, was es heißt Stärke zu zeigen, Wachstum zuzulassen, Verbindung zu schaffen, immer wieder. Ob Kinder unter diesem Aspekt eine Einschränkung sind, ist eine Frage der Einstellung und vielleicht auch der Prioritäten.

Andrea: Ist Stärke bei Frauen vielleicht auch die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen und nicht alles zu wollen?

Heike: Unbedingt! Und zu begreifen, dass es für alles eine Zeit gibt, das Maß zu kennen und zu leben – was tut mir gut, was tut den Kindern gut.

Andrea: Ich finde dieses Thema Prioritäten spannend, gerade im Hinblick auf Stresserleben, das in unser Welt so omnipräsent ist. Lass uns doch mal auf die Teilnehmerinnen deiner MBSR-Kurse schauen, dort geht es ja um Stressreduktion. Hast du das Empfinden, dass Stresserleben entsteht, weil Menschen Prioritäten nicht setzen? Entsteht ein Burn-out, weil wir Frauen alles sein wollen und das perfekt – Mutter, Karrierefrau, Ehefrau, zuständig für Kirche, Küche, sauberes Haus?

Heike: Ja, und du hast das wichtige Wort genannt: perfekt. Der Stress kommt daher, das wir perfekt sein wollen, und zwar in allem. Aber nichts ist perfekt, nie, deswegen macht dieses Streben nach Perfektion uns so fertig. Ich glaube, dass hinter Stress auch bestimmte Vorstellungen stehen, unsere innere Einstellungen zu den Dingen, und: Die mangelnde Fähigkeit „Nein“ zu sagen, weil wir funktionieren wollen, Erwartungen unbedingt erfüllen möchten. Weil uns das als Lebenszweck beigebracht wurde. Aber das ist nicht so, unser Lebenszweck ist das Leben und wenn das Leben sagt „Ich bin müde“ – dann leg dich hin und schlaf und kipp nicht Kaffee in dich rein.

Andrea: Du sagst, Perfektionismus steht hinter dem Stress bei uns Frauen: Wie ist es bei den Männern, welche Stressoren gibt es da – können sie sich von Perfektionismus besser abgrenzen?

Heike: Letztlich ist es so anders gar nicht – Verantwortung für die Familie, wirtschaftlicher Erfolg, die Belastung in der Arbeitswelt …

Andrea: … also auch dieses „funktionieren müssen“. Hier sind wir also wieder in der Verbindung, könnten uns als Menschen auf dieser Ebene treffen und feststellen, dass wir die gleichen Stressoren und Antreiber haben. Es fällt – zusammengefasst – wirklich schwer zu unterscheiden, wie sich Stärke speziell im Hinblick auf Frauen definieren lässt. Wir sind im Gespräch immer wieder bei Aspekten gelandet, wo es generell um Stärke ging, haben ganz stark das Verbindende wahrgenommen. Wir haben aber auch gesehen, dass Männer und Frauen nie gleich sein werden und dass genau diese Unterschiede uns in eine wahrhaftige Gleich-Berechtigung bringen können. Wir haben gesehen, das Stärke ganz viel mit Achtsamkeit zu tun hat, mit der Achtung des Moments und dem Bewusstsein der eigenen Bedürfnisse und – letztendlich – mit der Fähigkeit, sich für diese Bedürfnisse auch den Raum zu nehmen.

Heike: Und ich füge noch hinzu: Sich auch den Raum zu nehmen, über sich selbst lachen zu können, sich nicht immer so bitterernst zu nehmen. In uns allen ist ein inneres Kind, das zwei Anteile hat – den verletzten Anteil, mit dem kann man jahrelang zu Therapien gehen. Aber es gibt auch den Anteil des fröhlichen, des verspielten Kindes und der darf nicht vernachlässigt werden. Diesen Teil leben zu lassen und zu fördern, wo immer es geht, das erscheint mir sehr wichtig, dieser Anteil gibt sehr viel Stärke.

Andrea: Das fröhliche innere Kind, das Sonnenkind, als Stärke, die uns über so manch Ungemach hinweghilft: Auch das geht vorbei …

Heike: … und das uns immer wieder die Lebensfreude vor Augen führt.

Andrea: Heike, vielen Dank für dieses Gespräch.

 

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