Vimeo

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Kennt Ihr das Projekt „Starke Frauen“ noch nicht? Dann könnt Ihr Euch hier das Einführungsvideo (5 Minuten) ansehen oder es lesen.

(Hinweis: Wer das Videointerview mit Kai schon gesehen hat, liest bitte direkt an der Stelle weiter, wo der Text wieder schwarz wird. Die grünen Zeilen sind eine Abschrift des Video-Interviews für alle, die lieber lesen als gucken)

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, herzlich willkommen zu einem neuen Gespräch über Starke Frauen. Ich bin heute mit Kai Hellmich verbunden und freue mich sehr auf unser Gespräch. Dr. Kai Hellmich ist Mentor und Coach für Menschen in Krisensituationen. (www.essential-flow.de) Sein Hintergrund ist das schamanische Wissen und das der Energiemedizin, gepaart mit Coachingkompetenz und eigener Erfahrung. Kai hat Maschinenbau studiert, war Unternehmensberater und bekleidete Managementpositionen in internationalen Konzernen, war Professor. Dann kamen eine Krise und ein langer Weg dort heraus. Diese recht herausfordernde Vita und vor allen Dingen auch seine langjährige Beschäftigung mit dem Beziehungsfeld zwischen Mann und Frau bilden einen spannenden Rahmen für unser heutiges Gespräch und ich starte mit meiner ersten Frage an Dich, Kai: Was ist das denn, eine starke Frau?

Kai: Die Frage ist wirklich herausfordernd, ich habe mich lange damit beschäftigt, dachte zuerst, ich wüsste Bescheid. Weiß ich aber gar nicht. Und vor allen Dingen habe ich erstmal festgestellt, dass die deutsche Sprache gar nicht so eindeutig ist in der Unterscheidung zwischen Stärke und Kraft. Stärke ist vor allem körperlich, im Sinne von „Boah, ich habe mein Ziel und da gehe ich für“. Das ist eigentlich der männliche Weg. Ja, wir leben in dieser männlichen, hierarchischen Gesellschaft und in dieser Welt haben wir unser Ziel und wir gehen dafür. Und wenn diese Zielorientierung vom Ego getrieben ist, dann gleiten wir teilweise in die männlichen Schattenseiten ab. So ist die Industrie dominiert, ist die Gesellschaft dominiert. Diese Art von Stärke leben sehr viele, auch Frauen. Allerdings habe ich auch schon erfahren dürfen, dass es neben der Stärke auch die Kraft gibt. Und die Kraft kommt von innen, bei Männern und Frauen gleichermaßen. Je näher wir unserem Zentrum kommen, unserer inneren Wahrheit, unserer Wahrhaftigkeit, desto mehr Kraft haben wir. Dann müssen wir nichts mehr über Stärke, mit Druck oder vielleicht sogar durch das Übervorteilen anderer erreichen, sondern wir können aus dem Inneren heraus leben.

Wichtig ist, dass ich nicht den Anspruch habe, hier die Wahrheit zu sprechen, es geht um meine Wahrheit, gerade im Moment, und dass ich, wenn ich über „männlich/weiblich“ spreche, nicht Männer und Frauen meine, sondern die Anteile, die wir alle haben. Deshalb können natürlich auch Frauen ihren männlichen Anteil leben und sollen das auch, das ist wunderbar. Es ist gut, wenn beide Anteile im Gleichgewicht, in einem guten, ausgewogenen Zustand sind. Von daher, lange Antwort auf diese scheinbar sehr einfache Frage: Kraftvoll und stark wirken Menschen, auch eine Frau, wenn sie mit beiden Anteilen in einem guten Verhältnis sind. Bei Frauen schätze ich es total, wenn sie es schaffen in ihrer Weiblichkeit zu sein, die enorm kraftvoll ist und sehr anders als die Lichtseite des Männlichen. Eine starke, eine kraftvolle Frau lebt in ihrem weiblichen, empfänglichen Anteil. Und das ist nichts Kleines, es ist etwas sehr Großes, sehr kraftvolles. Ich erlebe das nicht häufig, aber ich kenne Frauen, die haben eine unglaubliche Präsenz. Die müssen nicht fordernd sein, die müssen nicht vorne sein. Aber wenn sie etwas sagen, dann ist Ruhe. Genial.

Andrea: Was brauchen wir Frauen, um in diese Kraft zu kommen oder in dieser Kraft zu sein?

Kai: Ich glaube, als erstes Rezept müssen wir uns wieder verbinden. Na ja, „müssen“, was müssen wir schon (lacht). Es ist gut, wenn wir wieder zurück zu uns selbst finden. Und ich spreche jetzt, weil das Gespräch über starke Frauen geht, die Frauen an, aber es gilt für Männer ebenso. Wir müssen zurück in unser Zentrum kommen, um überhaupt diese Kompetenz leben zu können, müssen dieses Authentische in uns berühren. Und speziell für Frauen ist es ein bisschen schwieriger, denn um in ihre Weiblichkeit zu kommen, benötigen sie einen männlichen Counterpart. In dieser Welt müssen sich Frauen durchsetzen und um in ihre Weichheit zu kommen, in diese Sanftheit, diese Kraft, die ich total schätze, benötigen sie einen starken Partner, der diese Kraft aushalten kann und die Frau kann sich in dieses Halten entspannen, sie muss sich sicher fühlen. Das heißt also, Frauen benötigen einerseits dieses Sichgewisssein und die Fähigkeit, sich mit sich selbst wieder zu verbinden: Mit der eigenen Kraft verbinden und aussöhnen, Balance schaffen zwischen den männlichen und weiblichen Anteilen und vielleicht sogar die Schattenseiten nach und nach ablegen. Andererseits benötigen sie einen Partner, der das erlaubt. Frauen sind im Alltag gefordert, und jetzt wiederhole ich mich bewusst, sehr stark in ihren männlichen Anteil zu gehen und das schwächt den weiblichen Anteil.

Andrea: Sie sind gefordert, weil sie meinen, sich ihren Platz, ihren Raum erkämpfen zu müssen. Du hast interessanterweise schon auf meine nächste Frage hingeleitet: Was könn(t)en Männer dafür tun, dass mehr weibliche Stärke in die Welt kommt?

Kai: Auch keine leichte Übung. Wir sind so unglaublich trainiert, dieses Spiel zu spielen, das wir seit hunderten, tausenden von Jahren spielen: Der eine gegen den anderen. Das ist keine gute Voraussetzung, um mehr weibliche Stärke einzuladen.

Das heißt also, auch die Männer müssen ihre Hausaufgaben machen, ihren weiblichen Teil entwickeln, um ein Gleichgewicht zum männlichen Part zu schaffen, den viele sehr stark zeigen, obwohl er vielleicht gar nicht ausentwickelt ist, weil wir keine männlichen Vorbilder mehr haben. Um tatsächlich diesen Raum für eine starke oder kraftvolle Frau zu halten, müssten wir mit dem Mann in uns in Frieden kommen und uns mit der Frau in uns verbinden. Wir dürfen diese Weichheit, diese Empfindlichkeit in uns zulassen und nicht mehr in den Kampf gehen, denn – das sage ich jetzt als Mann: Eine starke Frau kann sehr bedrohlich sein. Frauen haben richtig fett Power, das ist völlig klar und wenn ich als Mann nicht stark genug bin, um das auszuhalten, fange ich an, mich zu verteidigen und dann geht’s ins alte Spiel. Das schafft nur Verlierer. Also, was kann ich als Mann tun? Ich mache meine Hausaufgaben, beginne das Weibliche zu schätzen und biete der Frau ein Feld, in das sie entspannen kann. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass es für Frauen nicht einfach ist, sich in ihrer Weiblichkeit entspannt zu fühlen, nach so vielen Jahren Indoktrination, alter Muster und Spiele.

Andrea: Mit Markus Wortmann habe ich auch über dieses Thema gesprochen und er sagte sogar, dass es die Aufgabe der Männer sein könnte, einen Schritt zurückzutreten und die Frauen einzuladen, auch in den Unternehmen. Weil es einen riesengroßen Unterschied macht, ob eine Frau sich eine Führungsposition erkämpfen muss oder ob sie eingeladen wird zu führen.

Kai: Ich habe Frauen im Business kennengelernt und viele waren eher Männer. Und ja, ich bin vollständig bei Dir, wenn Frauen eingeladen würden und damit auch ihre weiblichen Qualitäten willkommen geheißen würden, dann würde sich unglaublich viel verändern. Dann kämen wir ins Kooperative, denn Frauen sind, wenn sie in ihrer Kraft sind, sehr kooperativ. Ich begrüße diesen Schritt und natürlich muss die Kultur des Unternehmens dazu passen. In einer männerdominierten Kultur, wo es häufig um Ego-Shooting geht, wäre so ein einladender Impuls eine harte Nummer. Aber vielleicht gelingt es in kleineren Unternehmen, die gerade eine neue Kultur schaffen, diese Weiblichkeit einzuladen und damit auch die Frau einzuladen, die das Feld bedienen kann. Nicht jede kann das, sie muss sich dahin entwickeln. Aber es ist definitiv der richtige Weg und aus meiner Sicht ist er eine Gnade, und das sage ich, obwohl ich tendenziell eher ein Alpha-Männchen bin.

Andrea: Wir sprachen darüber, dass die männliche Energie die weibliche einladen könnte, sich mehr zu zeigen und diese einladende Haltung gilt meiner Meinung nach sowohl für die Anteile jedes Menschen als auch für Unternehmen. Und wenn ich das weiterdenke, dann habe ich den Eindruck, dass Menschen und Unternehmen sich vielleicht gar nicht so sehr in ihren Anteilen, Entwicklungsphasen und Krisen unterscheiden, dass also die Anerkennung der weiblichen Energie sowohl dem Menschen in der Entwicklung helfen würde als auch dem Unternehmen. Was mich zur Frage führt: Was würde denn Deiner Meinung nach in Unternehmen passieren, wenn dort mehr weibliche Energie wirken könnte?

Kai: Für mich ist die weibliche Energie nach innen gerichtet, während die männliche Energie nach außen gerichtet ist. Und auch wenn ich jetzt ein uraltes Klischee bediene: Früher, als wir noch in Höhlen wohnten, sind die Männer zum Jagen rausgegangen, mit welchem Erfolg auch immer. Und die Frauen haben sich zusammengetan und haben die Innenbeziehung gestaltet, waren verantwortlich für den Zusammenhalt der Sippe. Es gibt Erzählungen von den Ureinwohnern Nordamerikas. Wenn es da ein Problem gab, wurde nicht diskutiert und es gab vor allem nicht den Chief, der Entscheidungen traf. Das Problem wurde benannt und dann kamen die Männer zusammen und haben beraten, mit ihrer Lösung gingen sie zum Kreis der Frauen. Und dann haben die Frauen beraten und vielleicht gesagt: „Das fühlt sich nicht gut an, diese Lösung dient nicht dem Leben“. Also zogen sich die Männer wieder zurück und das Spiel ging solange, bis es passte.

Andrea: Eine gute Lösung benötigt also die unterschiedlichen weiblichen und männlichen Lösungsstrategien?

Kai: Ja, denn unsere Denkstrukturen haben eine andere Qualität. Das Denken des Mannes ist geradeaus, es ist zielgerichtet. Frauen denken viel vernetzter. Das eine ist nicht besser als das andere, es hat beides seine Funktion. Der Mann ist auf eine strukturierte Problemlösung ausgerichtet? Das weibliche Denken funktioniert ganz anders, chaotischer, vernetzter, komplexer. Sie denken in Beziehungsstrukturen, gestalten – siehe oben – die Innenbeziehungen. Deswegen würden, wenn wir weibliche Denkstrukturen zuließen, Unternehmen wieder zu Orten, in denen die Innenbeziehungen funktionieren, wo wir uns wohlfühlen können, wo wir mit unseren Gefühlen zu Hause sein können.

Andrea: Wollen „wir“ das? Also, wollen das auch die Managementpositionen, die von den aktuellen Zuständen (scheinbar) profitieren, auch und gerade, weil sie sich (emotional) dahinter verstecken können?

Kai: Ich war lange Zeit in Managementpositionen unterwegs, und weiß deswegen, dass Manager und Gefühle ein absoluter Widerspruch zu sein scheinen. Manager kapseln sich vielfach emotional ab, sie stehen häufig im Feuer, können es sich in dieser Gesellschaft fast nicht erlauben, Gefühle zu haben oder zu zeigen. Zeigt man Gefühle, wird man hochgradig angreifbar und es gibt genug Leute, die genau das ausnutzen. Ich denke, „wir“ wollen trotzdem, dass unser Unternehmen wieder zu einer Gemeinschaft wird, zu einer wertschätzenden, wertschöpfenden Gruppe. Denn wir Menschen sind Gruppenwesen und wir sind emotionale Wesen, wir wollen uns mitteilen, wir wollen uns verbinden, wir wollen Wert schaffen – alles gesprochen im pauschalisierenden „wir“, das Ausnahmen und Ausreißer einbezieht und erlaubt. Wenn unser „wir“ sich vernetzt, dann werden wir in dem Maß, in dem wir uns wohler fühlen, auch zu hochgradig produktiven Einheiten.

Was also würde – konkret – passieren, wenn mehr weibliche Kraft in den Unternehmen wäre? Unternehmer müssten sich nicht mehr von ihren Gefühlen abschneiden und es gäbe weniger Absurdität: Unternehmen würden mehr Verantwortung zeigen für das Team aber auch für die Welt. Rhetorische Frage „Würde eine gesunde weibliche Energie Giftmüll verklappen?“ Unvorstellbar!

Andrea: Unvorstellbar, weil die Verantwortung für das große Ganze automatisch im Denken verankert ist?

Kai: Automatisch würde ich nicht sagen, aber mit sich selbst verbundene Frauen könnten solche Dinge nicht einfach durchwinken, sie dienen – siehe oben – nicht dem Kollektiv, nicht den kommenden Generationen.

Andrea: Wäre das, was Du gerade von den Beratungskreisen alter Kulturen erzählt hast, auch ein Rezept für moderne Meetingstrukturen? Sollten wir Frauen und Männer getrennt beraten lassen, weil sie einfach ganz anders an die Themen herangehen? Ist das vielleicht sogar der Grund, warum Meetings so oft schieflaufen? Ich finde diese Fragen sehr spannend, habe so noch nie darüber nachgedacht.

Kai: Schwierig, denn solche Kreise funktionieren nicht einfach auf Fingerschnipsen und weil man Männer und Frauen zusammen setzt. Viele von uns sind noch in alten Geschichten gefangen, in unseren Verletzungen, die uns dazu bringen, permanent im Verteidigungs- oder Angriffsmodus zu agieren. Wir fühlen uns verletzt und projizieren – „Alle sind gegen mich …“, und so weiter. Mit unbefreiten Menschen kann man keine solchen Kreise machen. Vielen geht’s um Gewinnen und schon ist man wieder auf der traditionellen, kampforientierten Schattenseite des Männlichen. Damit solche Kreise funktionieren, benötigen wir ziemlich reife Menschen, die sich schon mit ihren Themen beschäftigt haben und verstanden haben, dass all diese scheinbaren Verletzungen und Angriffe nur Geschichten sind, die wir uns selbst erzählen.

Andrea: Das heißt, um tatsächlich an diese Urkräfte zu gelangen, die in ihrer Polarität unglaublich wirksam sind – der Mann als zielgerichteter Problemlöser, die Frau als bewahrende, vernetzte Denkerin – müssten wir es als Einzelne in mühsamer Entwicklungsarbeit erst schaffen, zu unserem Zentrum zu gelangen, wie Du es eingangs schon formuliert hast. So frustrierend es also klingen mag, wir können viel rummachen mit New Work und Soziokratie und Holacracy, solange die Menschen nicht die Verantwortung für sich, ihre Gefühle und Gedanken übernehmen, wird sich nichts ändern?

Kai: Ach, ich würde das nicht so schwarz-weiß sehen. Ich kenne Soziokratie, und finde das Konzept super, es löst erstmal ein Krankheitsgeschwür auf, nämlich dieses streng Hierarchische, in dem „der da oben“ sagt – am besten noch ein alter, weißer Mann (lacht) – und die „da unten“ machen. Das ist ein Klischee, aber es stimmt auch, junge Eltern würden an manchen Stellen ganz anders entscheiden. Letztlich sind wir alle, auch alte weiße Männer, durch unsere Sozialisierung hochgradig programmiert, wir können rein neurologisch gar nicht anders. Das ist keine Verschwörungstheorie, so findet menschliche Entwicklung statt, so ist unser Gehirn verschaltet. Wir beobachten etwas immer wieder und speichern es durch Verbindung von Synapsen ab. Und so nehmen wir nur das wahr, was wir vorher schon wussten. Wir bestätigen durch das, was wir wahrnehmen, nur das, was wir schon vorher als wahr akzeptiert haben. Wenn man diesen Mechanismus einmal verstanden hat und erkennt, wie eng vernetzt unser Fühlen, unser Denken und zum Beispiel die Hormone als Steuerungseinheiten des Körpers sind, dann wird klar, warum wir beginnen sollten, die Verantwortung für unsere Gefühle und Gedanken zu übernehmen.

Andrea: Das soziokratische Unternehmensmodell beruht ja auf Kreisstrukturen, wie auch die Holokratie. Von Johanna, die Du ja auch kennst, habe ich in unserem Gespräch erfahren, dass der Kreis das verbindende, weibliche Element darstellt. Der Pfeil, die Linie, die Hierarchie, markiert den männlichen Gegenpart. Sobald wir also in die Kreise gehen und versuchen, den Kampf und das Gewinnen rauszuhalten, kann das sehr heilsam sein, auch für die Unternehmensstrukturen?

Kai: Ich kenne nichts Heilsameres als Gespräche im Kreis.

Andrea: Ich habe nur das Gefühl, dass wir hier zwar so locker darüber reden können – es geht nicht mehr ums Gewinnen, Männer dürfen mehr Gefühle zeigen … Das sagt sich so locker dahin, aber mal ehrlich: Es ist ein unglaublich weiter und mühsamer Weg, sich aus diesen Konditionierungen zu befreien, oder?

Kai: Es muss kein weiter Weg sein, es gibt Shortcuts. Genau an dieser Stelle setze ich mit meiner Arbeit beim Business auf, wende schamanische oder besser energetische Techniken an. Diese Arbeit hat viel mit „Umprogrammieren“ zu tun, man macht das selbst und: Das geht! Das geht auch schnell. Man muss es nur wollen.

Andrea: Das wollte ich gerade sagen, der Wille muss sein.

Kai: Ja, der Wille, der Mut, denn man ist hinterher definitiv ein anderer, eine andere. Wir haben alle Angst, unser Ego zu verlieren, wenn wir uns verändern, die Komfortzone verlassen. Aber mit Angst kann ich erstmal keinen Staat machen, es braucht definitiv Vertrauen. Vertrauen zunächst in mich selbst und dann darf ich vertrauen, dass das Kollektiv mich trägt, dass ich im Veränderungsprozess immer noch gemocht, immer noch akzeptiert werde.

Andrea: Ich finde die Frage spannend, warum es heute, nach so vielen Jahrzehnten Emanzipation und Gleichberechtigungsdiskussionen, noch erforderlich ist, über starke Frauen zu sprechen und eine Quote einzuführen.

Kai: Ich habe meine Theorie dazu. (lacht)

Andrea: Ich bin sehr gespannt auf Deine Theorie.

Kai: Was viele von uns als starke Frauen empfinden, sind Frauen mit sehr viel männlicher, kämpferischer Energie – gewachsen aus der Historie der Emanzipationsbewegung. Mit deren Start schlug das Pendel um und aus der Unterdrückung der Frauen wurde die Unterdrückung der Männer, begünstigt auch durch zwei Weltkriege. Den Männern fehlten die Vorbilder, sie wurden von Frauen erzogen und sozialisiert, waren als Gattung eigentlich total schwach geworden. Womit ich nicht meine, dass wir Machos und Gewinnertypen sein müssen, aber wir alle benötigen funktionierende Rollenmodelle. Die waren nicht mehr da. Und dann kam die Emanzipation und die Frau traf auf diese Gruppe der – provokant gesagt – Frauenversteher. Da gab es wenig Widerstand, was wahrscheinlich ganz gut war, sonst hätte es vielleicht richtig gekracht. So haben letztendlich die Frauen nur die Rollen getauscht, aber eigentlich nichts verändert im Gesamtgefüge. Nichts gewonnen. Als Gesellschaft bedienen wir im System immer noch die Schattenseiten des Männlichen – die militante Hierarchie, den Wettbewerb und so weiter. Das tun die Frauen gleichsam wie die Männer. Aber Frauen sind eben doch noch Frauen, was ja toll ist, und müssen sich daher extrem verbiegen, um diesem System zu genügen, um in ihm erfolgreich zu sein. Ich vermute, dass es absolut unsexy ist, als Frau in solchen Strukturen zu sein. Je weiter wir uns von unserer Wahrheit wegbewegen, desto kraftloser werden wir. Und viele Frauen sind in den Unternehmen sehr weit weg von ihrer Wahrheit, spüren vielleicht ständig instinktiv: Irgendetwas stimmt hier nicht. Das will ich nicht. Das passt nicht. Und deshalb ist die Bereitschaft von Frauen, in solchen Strukturen zu wirken, verständlicherweise wirklich gering.

Andrea: Das heißt, wir müssen immer noch über starke Frauen reden, weil die Stärke, die in den letzten Jahrzehnten entstanden ist, eine aufgesetzte ist, eine Rolle. Und wenn wir jetzt beginnen, über Stärke zu reden, dann sprechen wir über etwas ganz anderes, nämlich über die Befähigung der urweiblichen Kräfte, sich zu zeigen?

Kai: Ja, es geht um diese Urkraft. Genau. Es geht nicht um Dominanz, nicht um Egoziele, es hat eine ganz andere Ebene. Kraftvolle Frauen haben etwas Archaisches, das kommt von innen heraus. Kraft hat ein Mensch, der mit seinen inneren Kraftreserven verbunden ist. An diese Reserven müssen wir ran und wenn wir es schaffen würden, Schneisen zu bilden durch die alten Strukturen, so dass Unternehmen partizipativer, weicher aufgebaut sind, dann bräuchten wir uns über Frauenquote keine Gedanken mehr zu machen. Unternehmensstrukturen wären dann einladend, sie entsprächen dem Leben. Das andere, das ist häufig fast ein Kriegsgebiet, dort kannst Du nur existieren, wenn Du Dich abgeschnitten hast von Dir, von Deinem Zentrum.

Andrea: Du sagst, Manager können nur funktionieren, wenn sie sich von ihren Gefühlen abschneiden, was ist die Konsequenz daraus?

Kai: Die Konsequenz ist fett. Die Menschen funktionieren dann nur noch, werden krank. Schau Dich um, die Konsequenz ist das, was wir erleben, schau Dir die Krankenquoten an. Die Konsequenz ist, dass wir zwar nach Leadern suchen, die aktuellen Führungskräfte aber noch nicht mal sich selbst spüren, noch nicht mal ihr eigenes Leben leaden können. Wie sollen sie Teams führen? Die Konsequenz ist, dass Manager nur nach ihren Zielen und KPIs schauen und deswegen Menschen unter unfreien Bedingungen arbeiten lassen oder wohlwissend der Umwelt schaden. Die Konsequenz ist, dass man aus Gewinnstreben vielleicht eine Pflanze patentiert, die dann der Menschengemeinschaft und deren Ernährung nicht mehr zur Verfügung steht. Könnte ich das tun, wenn ich fühle? Ich würde sagen, nein. Das heißt, wir erzeugen sowohl mikroskopisch in das Unternehmen hinein, aber auch volkwirtschaftlich aus dem Unternehmen heraus einen unglaublichen Schaden.

Die Konsequenz ist auch, dass wir eine Quote von über 80 Prozent Arbeitnehmern haben, die Dienst nach Vorschrift machen oder innerlich bereits gekündigt haben. Jetzt stell Dir vor, was passieren würde mit einem Unternehmen, das Menschen beschäftigt, die arbeiten wollen. Wir Menschen sind so, von Natur aus, wir wollen etwas weitergeben, uns mitteilen. Dann sprühen wir, wir leben auf. Stell Dir vor, was dieser Shift auch ökonomisch mit einem Unternehmen machen würde. Als Maschinenbauer habe ich mir jahrelang Gedanken gemacht, wie man die Produktivität um ein Prozent, um zwei Prozent steigern könnte. Wenn wir es wirklich schaffen würden, die brachliegenden menschlichen Potenziale zu aktivieren (wovon die Mitarbeiter ja maximal profitieren würden), dann sprächen wir nicht von zwei Prozent, auch nicht von fünf, selbst dreißig Prozent Steigerung wären noch wirklich bescheiden.

Wenn ich diese Konsequenzen als Manager sehe und verinnerliche, dann werde ich meine Position anders ausfüllen, ich werde sie nutzen, um für andere zu sorgen. Ein König, der seinen Job versteht, zieht das Schwert nur, um eine Bedrohung abzuwehren oder um das Korn zu schneiden. Ein guter König will, dass es seinen Leuten gut geht. Hierarchie, Macht, ist immer mit Fürsorge verbunden.

Andrea: Und diese fürsorgende Art von Hierarchie und Macht ist ebenfalls verbunden mit der Fähigkeit, die weibliche Kraft einzuladen, sie als elementaren Anteil des unteilbaren Ganzen wirken zu lassen. Lieber Kai, ich danke Dir herzlich für die vielen Erkenntnisse aus diesem Gespräch und für Deine Zeit.

Kontakt:

Dr. Kai Hellmich
www.essential-flow.de
Email: hellmich@essential-flow.de