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Kennt Ihr das Projekt „Starke Frauen“ noch nicht? Dann könnt Ihr Euch hier das Einführungsvideo (5 Minuten) ansehen oder es lesen.

(Hinweis: Wer das Videointerview mit den Frauen des female Network Melaten schon gesehen hat, liest bitte direkt an der Stelle weiter, wo der Text wieder schwarz wird. Die grünen Zeilen sind eine Abschrift des Video-Interviews für alle, die lieber lesen als gucken :-))

Hallo, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, heute gibt es eine Innovation, einen Versuch, nämlich ein Gespräch mit gleich drei Gesprächspartnerinnen vom female Network Melaten (https://www.femalenetworkmelaten.de). Der Campus Melaten ist eine Ansiedlung der RWTH Aachen, der Technischen Universität in Aachen. Auf dem Campus finden wir Cluster, die Lehre, Forschung und Wirtschaft miteinander verbinden. Die drei Frauen, mit denen ich gleich spreche, sind oder waren im Umfeld des Campus tätig und haben sich als female Network Melaten zusammengetan, um sich gegenseitig zu inspirieren, zu stärken, sich gemeinsam weiterzuentwickeln und ihre Potenziale besser auszuschöpfen.

Katharina Müller hat in Aachen Maschinenbau studiert, war 11 Jahre am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH tätig, mit viel Praxisorientierung im beratenden Einsatz bei Industrieunternehmen. Ich bin neugierig geworden auf Katharina, weil sie in ihrem Profil schreibt, dass sie daran gewöhnt ist, in Meetings oft die einzige Frau zu sein.
Kristina Baitalow ist in Sachsen aufgewachsen und stammt ursprünglich aus Russland. Sie hat ebenfalls Maschinenbau studiert, promoviert und forscht zurzeit im Schwerpunkt Verfahrenstechnik. Lydia Albers hat International Business Management studiert, mit Auslandssemestern in Schweden und den USA, ihren Master hat sie in Maastricht gemacht. Im WZL-Forum ist sie für die Digitalisierung der Weiterbildung zuständig.

Andrea: Im Vorgespräch haben wir uns über das Buch „Invisible Women“ (Unsichtbare Frauen, mehr Infos über das Buch zum Beispiel hier)  unterhalten, das zwei von euch gerade lesen und das euch, wie ihr mir erzählt habt, stellenweise sehr wütend gemacht hat. Vor diesem Hintergrund der „Unsichtbarkeit“ von Frauen möchte ich die erste Frage an Katharina stellen – ist eine starke Frau für dich eine sichtbare Frau?

Katharina: Das ist auf jeden Fall ein sehr starker Einstieg mit einer schwierigen Frage, bei der ich lange nach einer Antwort für mich gesucht habe, das Ganze dann aber für mich am Thema Vorbilder festgemacht habe. Also: Was nehme ich bei anderen Frauen als besonders stark wahr? Für mich hat das viel damit zu tun, sein eigenes Ding zu machen, seinen Weg zu gehen, sich dabei auch nicht beirren zu lassen und dort im Leben zu stehen, wo man sagt: „Ja, da wollte ich hin, da fühle ich mich wohl. Ich mache genau das, was ich machen möchte, habe mich nicht selbst auf dem Weg verloren oder irritieren lassen.“ Ich muss aber an der Stelle auch direkt einen Disclaimer hinterherschicken. Meine Einschätzung bedeutet nicht, dass alle anderen Frauen, die vielleicht meine persönlichen Kriterien nicht erfüllen, weniger oder nicht stark sind. Es ist eine subjektive Wahrnehmung, was man selbst als Stärke empfindet und was nicht und deswegen kann ich gleichzeitig nicht anderen Frauen absprechen, stark zu sein.

Andrea: Also Stärke als die Fähigkeit, sich selbst und sein Selbst zu erfüllen.

Katharina: Genau, ja.

Andrea: Sind Frauen und Männer wirklich unterschiedlich in ihren Stärken und Schwächen und ist das wichtig?

Lydia: Wenn man auf Stärke als reine Muskelkraft schaut, dann wird man vielleicht noch Unterschiede finden, aber selbst das ist natürlich nicht allgemeingültig. Es gibt mit Sicherheit auch muskel-stärkere Frauen als Männer. Wir erleben ein gesellschaftliches Bild von (männlicher) Stärke, durch das oft vermittelt wird, eine Frau müsse den Mann imitieren, um stark zu sein. Gleichzeitig wird diese Stärke dann aber bei einer Frau nicht als solche ausgelegt, sondern sie ist dann halt „kühl“ oder „rücksichtslos“. Von daher glaube ich, dass Stärke tatsächlich gesellschaftlich anders wahrgenommen wird bei Frauen und Männern und für mich wäre es schön, wenn wir keinen Unterschied mehr machen müssten, was Stärke bedeutet. Wenn Frauen nicht mehr Männer nachahmen müssen, um als stark wahrgenommen zu werden, sondern wir ein gesamtheitliches Bild der Gesellschaft erreichen, in dem es starke Menschen gibt und nicht nur starke Frauen und starke Männer.

Andrea: Du sagst, das Bild, welches wir zurzeit von Stärke haben, ist sehr maskulin, sehr männlich geprägt. Du wünschst dir, ähnlich wie Katharina, mehr Raum für die Erkenntnis, das Stärke individuell ist, und auch mehr Raum, um diese individuellen Stärken auch zu fördern.

Lydia: Genau, und dass das Bild einer Frau, die Stärke zeigt, nicht mehr negativ behaftet ist.

Andrea: Momentan sind es, sagt Lydia, eher die männlichen Attribute, die wir als Stärke definieren. Dementsprechend wäre das, was Frauen einbringen, eine Schwäche, also etwas, was im typischen „Ellenbogen-Business“ eher stört. Könnte diese vermeintliche Schwäche der Frauen, also zum Beispiel ein ausgeprägterer Wunsch nach Harmonie, nach Gemeinschaft, nach echter Teamfähigkeit – könnten diese Eigenschaften vielleicht auch gerade ihre Stärken sein?

Kristina: Ja, definitiv. Nehmen wir mal das Beispiel einer Führungskraft. In unserer Gesellschaft erwarten wir leistungsstarke Führungskräfte. Sie arbeiten sehr viel, unermüdlich, sind immer erreichbar. Das sind Eigenschaften, die vielleicht erstmal viel Stärke vermitteln. Ich finde aber, dass es auch andere wichtige Kriterien für Führungspersönlichkeiten gibt: Harmonie- und Teamfähigkeit oder Empathie, als Fähigkeit, sich in seine Mitarbeitenden und in soziale Gefüge hineinfühlen zu können. Und dass man auch Schwäche oder generell Emotionen zeigen darf, das ist auch eine Eigenschaft, die aktuell nicht mit einer Führungspersönlichkeit in Verbindung gebracht wird, die aber total menschlich und wichtig ist. Ich würde mir wünschen, dass das Erwartungsbild der Gesellschaft an „Chef“ oder „Chefin“ sich ändert, dass man andere – vermeintlich schwächere aber eben menschliche – Eigenschaften akzeptiert und in Führung integriert. Das könnte zum Beispiel in einer Doppelspitze funktionieren, wo man verschiedene Persönlichkeitsmerkmale kombiniert.

Andrea: Das heißt, wenn wir mehr vermeintlich weibliche Schwächen in die Wirtschaft, in die Unternehmen und in die Führung bringen würden, dann würden wir auch mehr Raum für alle schaffen, menschlich zu sein, Emotionen zeigen zu können. Ist das richtig?

Kristina: Genau, und dann würden wir es vielleicht auch schaffen, mehr von uns allen abzuholen, mitzunehmen – wir könnten mehr Persönlichkeit und Persönlichkeiten zulassen, Verschiedenheit unterstützen und vorleben, nicht nur das Stereotyp von Stärke.

Andrea: Weibliche Führung fördert Vielfalt? Seht ihr das auch so, Katharina und Lydia?

Lydia: Tendenziell ja, weil diese Herangehensweise Diversität fördert, aber auch Diversität endet natürlich nicht beim Geschlecht. Trotzdem ist es mit Sicherheit ein guter Einstieg, um Frauen erst einmal überall im Bereich Führung sichtbarer zu machen, zu zeigen, dass nicht nur Männer eine Führungsposition einnehmen können. Das geht im Endeffekt in die Richtung Vorbildfunktion, die Katharina eben schon angesprochen hatte. Wenn ich weibliche Führungsvorbilder sehe, weiß ich auch, worauf ich hinarbeiten kann als Mitarbeiterin eines Unternehmens.

Katharina: Wir benötigen nicht die weibliche Führung, sondern wir brauchen eine komplette Führung, also eine Persönlichkeit mit sowohl eher männlich als auch eher weiblich konnotierten Eigenschaften. Eigentlich muss eine Führungskraft von heute beides mitbringen, das Komplettpaket, was aber eine große Anspruchshaltung an eine einzelne Person darstellt.

Andrea: Lydia, du hast in Schweden und in Holland studiert, in den USA gelebt. Hast du dort Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bild der Frau erlebt, das wir in Deutschland haben? Behaupten sich Frauen in diesen Ländern anders? Müssen sie sich überhaupt behaupten?

Lydia: Eigentlich gibt es da, wie es zu erwarten ist, für jedes Land eine andere Antwort. Den einprägsamsten Unterschied habe ich in Schweden erlebt. Dort war ich relativ am Anfang meines Auslandsemesters einmal beim Arzt und saß, an einem normalen Wochentag, im Wartezimmer mit ganz vielen Männern und kleinen Kindern. Keine einzige Mutter! Das hat mich umgehauen, so etwas hatte ich in Deutschland noch nie erlebt. Für mich war das ein prägender Moment und eigentlich ein bisschen traurig, dass uns das hier so selten begegnet. Höchstens mal ein paar Papas, die einen Kinderwagen schieben und das ist schon eine Besonderheit. In Schweden ist das Thema Gleichberechtigung und Verantwortlichkeit für Familie ein ganz anderes, ein viel progressiveres und weiterentwickeltes Gefüge. In den USA war es komplett anders. Dort wird erwartet, dass Frauen arbeiten, ganz klar, anders lässt sich der Familienstandard nicht halten, ähnlich wie bei uns in Deutschland. Nur ist es dort völlig normal, dass man bis zwei Tage vor der Geburt noch arbeitet und wenige Wochen oder Monate danach wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt. Da haben wir in Deutschland viel mehr Freiheiten, uns als Familie kennenzulernen, mit der Elternzeit auch für Männer. Das habe ich in den USA gar nicht erlebt, auch nicht, dass Männer sich um ein krankes Kind kümmern, was in Deutschland sehr wohl passiert.

Andrea: Wir können uns von Schweden einiges abgucken, sagst du. Auch im universitären oder vielleicht sogar wirtschaftlichen Umfeld? Ist dir im Arbeitsleben dort aufgefallen, dass die Frau anders auftritt, anders wahrgenommen wird?

Lydia: Mir ist kein Unterschied zwischen Mann und Frau aufgefallen, und ich glaube, das zeigt eigentlich schon relativ viel.

Andrea: Lydia hat erzählt, dass ihre Kolleginnen in den USA sofort wieder arbeiteten, nachdem sie, provokant gesagt, ihre Mutterpflicht zufriedenstellend erfüllt hatten. Wenn ich an die ehemalige DDR denke, dann habe ich sofort das durchaus positiv konnotierte Bild einer Vollzeit arbeitenden Frau und einer sehr gut strukturierten Kinderbetreuung im Kopf. Kristina, du bist nach der „Wende“ in Sachsen aufgewachsen, wie hast du das erlebt?

Kristina: Ich war meine ganze Kindheit hindurch nach der Schule im Hort, wie alle Kinder damals, und habe dieses breite Spektrum an Kinderbetreuung als Kind sehr positiv wahrgenommen. Wie ging es dabei den Eltern? Ich glaube, diese Frage wurde gar nicht gestellt, alle haben das so gemacht, es hat sich so angeboten, war gesellschaftlich völlig in Ordnung.

Was mir allerdings noch viel mehr in Erinnerung geblieben ist, da wir ja über starke Frauen sprechen, sind meine ersten Jahre in Russland. Meine Oma habe ich als totale Powerfrau erlebt – sie hat mich großgezogen, ihrer Tochter, meiner Mutter, damit ein Studium ermöglicht und parallel noch rund um die Uhr ihre Mutter gepflegt. Diese selbstverständliche Stärke bei Frauen habe ich in Russland oft wahrgenommen und ich glaube, das hat mich mehr geprägt als die Erfahrungen aus der ehemaligen DDR.

Andrea: Glaubst du, dass dieser Hintergrund auch deine Studienwahl in einem sehr männlich dominierten Umfeld, dem Maschinenbau, geprägt hat?

Kristina: Nein, ich glaube nicht. Eher der Gedanke zu beweisen, dass ich das als Frau auch kann.

Andrea: Katharina, du sagst ja, dass du in deinem beruflichen Umfeld ganz oft die einzige Frau am Meetingtisch bist. Was glaubst denn du, warum immer noch so wenige Frauen in den MINT-Fächern Fuß fassen, geschweige denn dort Karriere machen?

Katharina: Ich glaube, dass nach wie vor Frauen und Mädchen nicht mit gleicher Selbstverständlichkeit wie Männer MINT-Fächer in Betracht ziehen, weil sie schon in ihrem schulischen Werdegang vermittelt bekommen, dass das typische „Jungs-Fächer“ sind. Es gibt immer noch viele Lehrer:innen, die behaupten, Mädchen wären nicht so gut in Mathe, die eine Schülerin vom Physik-LK abhalten wollen. Da passiert so viel unbewusst in den wichtigsten und prägendsten Jahren, was Frauen eher nicht in die Richtung MINT schubst, sondern sie massiv davon abhält.

Andrea: Wie war es bei dir, warum ist für dich diese Idee nicht vom Radar verschwunden?

Katharina: Ich habe viel Glück gehabt. Zum einen hatte ich keine Lehrer:innen, die mich entmutigt haben und zum anderen Eltern, die keinen Unterschied gemacht haben zwischen mir und meinem Bruder. Mein Vater ist selber Ingenieur und hat ganz selbstverständlich sowohl mit mir als auch mit meinem Bruder Schaltkreise gebastelt und uns gezeigt, wie man eine Glühbirne zum Leuchten bringt. Er hat uns beide mitgenommen in verschiedene Unternehmen und uns dort die Produktion gezeigt. Für mich war die Hürde damit nicht so hoch wie für andere, weil ich immer schon viele Berührungspunkte hatte.

Andrea: Also ginge es zunächst darum, immer noch vorhandene Barrieren in den Köpfen der Lehrkräfte, der Eltern, also aller Einflusspersonen abzubauen und Bildung zu verändern, damit ließe sich viel erreichen. Jetzt bist du Ingenieurin und teilweise die einzige Frau am Meetingtisch. Wie fühlt sich das denn für dich an? Welche Art von Stärke benötigst du vielleicht?

Katharina: Das ist unterschiedlich. Meistens ist es kein Problem. Es gibt aber manche Runden, in denen ich mich sehr deutlich einem Spannungsfeld ausgesetzt fühle. Einerseits werde ich als Frau wahrgenommen, inklusive der damit verbundenen Erwartungshaltungen, wie eine Frau sich zu verhalten habe, zum Beispiel eher kompromissfähig zu sein. Andererseits ist da die Erwartungshaltung an mich als Führungskraft oder Fachexpertin, meinen Standpunkt zu vertreten und auch mal an der einen oder anderen Stelle unbequem zu sein, im Sinne meines Teams oder der Sache. Dadurch entsteht für mich häufig eine Unvereinbarkeit, in deren Raum ich mich trotzdem bewegen muss, ohne mich dabei unwohl zu fühlen. Wie zeige ich klar meine rote Linie und bin doch ausreichend kompromissbereit? Das ist manchmal in einer männerdominierten Runde sehr schwierig, weil dort eine andere Kommunikationsdynamik herrscht und ich auch nicht erwarten kann, dass „man“, nur weil ich als Frau dabei bin, plötzlich anders kommuniziert. Das heißt, ich muss in einer gewissen Art und Weise immer auch indirekt darum verhandeln, wie weit ich mich der Erwartungshaltung an mich als Frau anpasse und muss damit leben, dass ich bei meinen Gegenüber für starke zum Teil unterbewusste Irritation sorge, wenn ich mich einmal nicht kompromissbereit zeige. Das sorgt dann für eine unglaubliche innere Spannung, die man, glaube ich, als Mann in dem Moment so nicht kennt.

Andrea: Kennst du diese „Och, wie niedlich“-Reaktion? Wenn Frauen engagiert für ihren Standpunkt eintreten, wird das als kindliche Begeisterung belächelt, während es bei Männern lobenswertes Engagement wäre?

Katharina: Nein, glücklicherweise nicht, aber ich kann es mir gut vorstellen. Was ich allerdings kenne ist, dass ich mich sehr häufig wiederholen muss, bis meine Botschaft ankommt. Und natürlich kenne ich auch die Situation, dass ein Kollege den Vorschlag aufgreift, den ich 10 Minuten vorher gemacht habe und dann die Lorbeeren einheimst. Einzeln genommen alles nicht gravierend, in der Masse irgendwann ein bisschen frustrierend. Ich entwickele teilweise Mechanismen, damit umzugehen und lerne, an welchen Stellen ich mit welcher Intensität Dinge positionieren muss, wenn sie mir wichtig sind.

Andrea: Das hört sich an, als wäre Karriere für Frauen viel anstrengender als für Männer?

Katharina: Ich würde das nicht pauschalisieren aber unterschreiben, dass es in den technischen und ingenieurwissenschaftlichen Bereichen etwas mehr Kraft kostet.

Kristina: Ernst genommen zu werden ist in der Tat etwas, was uns oft fehlt, was wir brauchen, und es ist sehr anstrengend, dafür zu kämpfen. Aber man kann etwas dafür tun, Unterstützer:innen suchen, zum Beispiel. Als Frauen müssen wir aktiv werden, um das Ziel zu erreichen, das wir vor Augen haben. Wenn ich das speziell auf den Karriereweg beziehe, dann kann dieser Aktivitätsdruck sogar positiv sein, denn Netzwerken fällt uns als Frauen oft leichter, oder Empathie zeigen, uns einfühlen in ein Gegenüber, in eine Situation und sie dadurch gestalten. Da sind wir wieder bei den vermeintlichen Schwächen, die dann zu Stärken werden, wenn wir sie nutzen. Und dann können wir uns ohne viel Aufwand viel schneller in einem sozialen Gefüge zurechtfinden und so unseren Karriereweg beschreiten.

Andrea: Also gehe ich zum Beispiel nicht mit meiner Meinung alleine in ein Meeting und schon mit der Erwartung, dass ich für meine Position kämpfen muss, das es schwierig werden wird, sondern ich spreche vielleicht schon vorab ein paar Kolleg:innen an, um sie als Unterstützer:innen zu gewinnen. Ist das ein Weg?

Kristina: Ja, oder man hat vielleicht die Entscheiderin oder den Projektpartner vorab kontaktiert, um etwas präsenter zu sein. Dann ist der Weg schon geebneter.

Lydia: Da ich BWL studiert habe, waren mein Studiengang und meine ersten Erfahrungen gar nicht so geprägt von einem Überhang an Männern. Ich habe dieses Missverhältnis erst in meinen ersten Arbeitsfeldern wahrgenommen, hatte aber anfangs nie das Gefühl, dass meine Stimme als Frau weniger zählte, dass meine Meinung nicht gehört wurde. Dann bin ich nach Aachen gekommen und habe erstmals die tatsächliche Dynamik eines rein männlich geprägten Umfelds erlebt. Ohne Kollegen direkt die Schuld geben zu wollen fühlt es sich deutlich anders an, hier zusammenzuarbeiten und das ist auch der Grund, warum ich zum female Network Melaten gekommen bin, damit wir uns vernetzen und als Viele dann vielleicht ein paar andere Perspektiven einbringen können.

Katharina: Bei uns im Netzwerk oder generell in Frauenrunden fällt mir dann auf, dass ich mich wieder in meinem Kommunikationsverhalten umstellen muss, ein paar Gänge zurückschalten muss, als ich es aus den Männerrunden gewöhnt bin. Hier wird anders kommuniziert, in Frauenrunden läuft das Gespräch, die Entscheidungsfindung ganz anders, habe ich festgestellt. Für mich ist das viel leichter, ich muss nicht mehr darauf achten, dass ich an den richtigen Stellen mitgeredet habe, wahrgenommen wurde. Das ist bei uns überhaupt nicht erforderlich, es wird viel mehr in Netzstrukturen kommuniziert und viel weniger in Hierarchien.

Andrea: Wir haben im Gespräch bisher die typischen Stereotype als wahr akzeptiert, dass es also typisch weibliche und typisch männliche Eigenschaften gibt. Wobei uns, glaube ich, allen klar ist, dass wir als Menschen immer sowohl Weibliches als auch Männliches in uns haben und dass es Frauen gibt, die sehr viel von dem in sich tragen, was als typisch männlich definiert ist und umgekehrt. Wenn ihr jetzt in eurem Umfeld auf weibliche Führungskräfte schaut – führen die durch den Einsatz dessen, was wir als typisch weibliche Stärken wahrnehmen oder sind das Frauen, die führen, weil sie besonders gut ihre männliche Seite zum Vorschein bringen konnten?

Lydia: Ich glaube, dass eher der Mensch an sich das Ganze ausmacht, dass es gerade die Mischung verschiedener Eigenschaften ist, die eine Führungspersönlichkeit prägt. Dass die Chefin also in einer Sekunde durchsetzungsfähig ist und dann wieder sehr kompromissfähig und dass sie der jeweiligen Situation angemessen handeln kann. Und vor allem kommt es darauf an, ob dieser Mensch auch führen möchte!

Kristina: Ich habe bisher immer sehr extreme Charaktere erlebt, aber es war selten, dass eine weibliche Führungskraft eher weibliche und eher männliche Eigenschaften in einer Person kombinieren konnte. Aber genau in die Richtung müssen wir denken – Führung muss beides können.

Lydia: Deswegen ist ja die Idee einer auf mehrere Köpfe verteilten Führung, also zum Beispiel einer Doppelspitze, so faszinierend, weil kein Mensch alles in sich vereinen kann. Dazu kommt, dass Projekte immer dynamischer werden. Es wird immer schneller werden und wir können Führungskräfte nicht ad-hoc austauschen, je nachdem, welche Qualitäten gerade gefordert sind. Von daher ist es eine sehr, sehr zukunftsträchtige Idee, Führung auf mehrere Schultern zu verteilen, weil man in einem Team immer mehr kann und weiß als alleine.

Andrea: Aber grundsätzlich seid ihr pro Führung, pro Hierarchie? Oder schaffen wir die besser total ab?

Lydia: Definitiv pro Hierarchie, wir brauchen sie, um Projekte steuern zu können, aber es müssen keine Top-down-Entscheider-Hierarchien sein, nach dem Motto – ich bin die Chefin, ich entscheide.

Katharina: Wir können Hierarchien über Rollen definieren, wo Entscheidungsbefugnis aber dann eben auch Entscheidungsverantwortung zusammentreffen. Und dann könnte man situations- oder projektspezifisch besetzen – was muss eine Person für diese Entscheidung können, wie ist die Aufgabe gestaltet? Wie dann die Beziehung zwischen diesen Rollen aussieht, das mag verschieden sein. Aber dass es gewisse Verantwortungsbereiche gibt und die dann auch eine gewisse Hierarchie bilden, das ist natürlich und das ist auch notwendig.

Lydia: Um solche Rollen passend zu besetzen, kann man zum Beispiel auch einen Stärkentest machen. So habe ich es in Amerika erlebt, wo meine damalige Chefin auf dieser Basis versucht hat, die Teams ausgewogen zusammenzustellen. Natürlich brauche ich jemanden der/die entscheidet und auch später die Verantwortung trägt, aber die Arbeitsergebnisse erzielen sich am besten, wenn verschiedene Talente zusammenlaufen.

Andrea: Apropos Talente, Führung und weibliche Führungskräfte. Eine Frage an alle: Frauenquote? Sinnvoll?

Katharina: Inzwischen bin ich an dem Punkt zu sagen: Ja, sinnvoll. Einfach, weil die Erfahrung schon zu lange zeigt, dass es ohne nicht geht. Dass sich nichts bewegt. Und Frauenquote heißt ja nicht, dass irgendeine Frau auf der Straße angesprochen wird „Hey, möchtest du in unseren Vorstand kommen?“ Es geht ja darum, Organisationen dahingehend zu bewegen, sorgfältiger die Qualifikationen und alle in Frage kommenden Personen zu prüfen. Damit können wir unbewusste Mechanismen, dass „man“ nämlich gerne jemanden einstellt, der einem ähnlich ist, durchbrechen.

Lydia: Ich stimme voll und ganz zu. Und ich hoffe, dass wir irgendwann die Quote nicht mehr nötig haben, weil sich diese neue Haltung automatisiert. Wenn man ständig sieht, dass Frauen in Führungspositionen vertreten sind, dann wird es Normalität.

Kristina: Ich persönlich bin wiederum gegen die Frauenquote, weil ich glaube, dass diese Frauen zu stark abgestempelt werden und ich sehe, dass es immer noch ein großes Problem ist, dass diese „Quotenfrauen“ über alle Hierarchien hinweg, bis in die Produktion, wirklich akzeptiert werden. Meine Befürchtung ist, dass Kompetenz und Fähigkeit nicht gesehen werden, weil man als Quotenfrau gilt. Ich stimme euch aber zu, dass man eine harte Regelung benötigt, denn die Arbeitgeber müssen motiviert werden, mehr Frauen einzustellen. Ich würde aber eher versuchen, andere Stellschrauben zu benutzen, um den Frauenanteil zu erhöhen, zum Beispiel Zugang zu Kinderbetreuung, Teilzeitregelungen, Elternzeit – generell kann man noch viel ausprobieren, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.

Katharina: Jedenfalls geht es nicht nur darum, es den Frauen einfacher zu machen, sondern schon darum, die Arbeitgeberseite dazu zu bewegen, dass sie sich anstrengen, Frauen einzustellen.

Andrea: Damit sind wir bei einem weiteren interessanten Aspekt, nämlich der Vereinbarkeit von Kind und Karriere, die für viele Frauen immer noch eine Hürde ist. Kein Mann wird von einem Chef schräg angeschaut, wenn er erzählt, dass der Nachwuchs bekommt, Frauen schon. Lydia hat am Anfang erzählt, wie anders sie es in Schweden wahrgenommen hat, dass dort selbstverständlich die Männer mit den Kindern beim Arzt saßen. Also: Welche Modelle benötigen wir in diesem Bereich, um es für Frauen und für Unternehmen einfacher zu machen? Was müssen Unternehmen anders machen? Aber was müssen vielleicht auch wir Frauen selbst anders machen?

Lydia: Für mich war früher als Jugendliche klar, wenn ich ein Kind kriege, will ich einen Tag später wieder arbeiten. Keine Frau muss zu Hause bleiben, sobald sie Kinder hat. Mittlerweile sehe ich, dass jemand anderes zuhause bleiben muss, wenn ich den ganzen Tag arbeiten will. Das ist auch nicht fair, von daher finde ich so ein Fifty-Fifty-Modell zwischen Mann und Frau in einer Partnerschaft die fairste Lösung, während der Elternzeit und vielleicht bis zur Kita. Ich glaube, dass so eine Lösung auch wichtig ist als Signal an Unternehmen: Ja, Männer sind auch Väter. Denn die Vereinbarung zwischen Mutter und Vater reicht ja nicht, es muss auch in den Unternehmen als Kultur gelebt werden, dass Männer eine Vaterrolle haben. Aber ich glaube schon, dass da aus Sicht der Männer unserer Generation ganz von selber der Anspruch erwächst: Ich bin auch Vater und ich bin nicht nur Erzeuger.

Kristina: Wir könnten eine solche Gleichverteilung auch belohnen, das wäre eine gute Idee. Und wir benötigen als Frauen Vorbilder in diesem Bereich. Ich habe ganz viele starke Frauen als Vorbilder, aber die meisten haben keine Kinder. Ich möchte Vorbildrollen von Frauen, die Karriere und Familie haben.

Lydia: Ein Beispiel aus der Politik ist für mich Annalena Baerbock. Sie wurde vor ihrer Kanzlerkandidatur allerdings extrem kritisiert, wie sie als Mutter so ein Amt anstreben könne. Ich glaube, bei einem Mann wurde noch nie hinterfragt, ob er Kinder hat und gleichzeitig eine politische Karriere machen kann. Ja natürlich, das ist selbstverständlich. Aber sobald eine Frau anfängt, in eine wichtige Position zu kommen, wird ihr immer noch angetragen, dass die Mutterrolle schon noch ihre wichtigere Rolle sei und nur der zweite Weg die Karriere, und die ist auch irgendwie böse.

Katharina: Ich würde gerne den Punkt von Kristina nochmal aufgreifen, dass man eine faire Aufteilung der Elternschaft eigentlich belohnen müsste. Das Thema Vereinbarkeit ist für mich stark mit einer ökonomischen Rechnung verbunden, die ein Paar immer anstellen wird. Also: Wieviel Gleichberechtigung können wir uns eigentlich leisten? Ich kann meinen Anspruch auf Karriere viel besser durchsetzen, wenn keine finanziellen Einbußen für die Familie damit verbunden sind, dass der besserverdienende Partner länger zuhause bleibt. Dort müsste oder sollte man ansetzen, damit aus der rein ökonomischen Entscheidung wieder mehr eine Entscheidung zwischen zwei Personen als Individuen wird, wie sie sich in ihrer Rolle innerhalb der Familie jeweils positionieren möchten.

Lydia: Ich würde gerne noch ergänzen – auch im Hinblick auf das Buch „invisible women“ –dass die Probleme, über die wir hier sprechen, natürlich Probleme sind, die angegangen werden müssen. Wir sollten aber nicht vergessen, dass Frauen in anderen Ländern ganz andere Probleme haben, da geht es um Sicherheit oder noch eklatanter einfach ums Überleben …

Andrea: … und nicht darum, wer wo die Kinder erzieht. Du hast Recht, es ist wichtig und gut, uns ab und zu ins Bewusstsein zu rufen, dass wir das Thema Frauenrechte auf einem ganz anderen Level diskutieren, was es nicht weniger wichtig macht. Auf der anderen Seite ist es vielleicht gar nicht so falsch, sich mal in vermeintlich rückständigeren Ländern umzuschauen und zu gucken, was Frauen dort anders machen, zum Beispiel gibt es in vielen Weltgegenden, die wir im Westen nicht auf dem Schirm haben, noch Matriarchate. Extrem spannendes Thema!

Katharina: Und damit sind wir wieder bei der ersten Frage, nämlich, was eine starke Frau eigentlich ausmacht. Für mich ist Stärke vor allem damit verbunden, sich selbst so verwirklichen zu können, dass man machen kann, was man machen möchte und das kann in jeder Kultur und in jeder Familie anders aussehen. Es sollte nur für alle Menschen, sowohl Männer als auch Frauen, in ihrer Umgebung möglich sein, das zu machen, was sie wollen, und zwar ohne Einschränkungen. Und wenn das für eine Familie die klassische Rollenaufteilung ist, dann bin ich die Letzte, die sagen würde: Aber um Himmels Willen, die Gleichberechtigung, du musst doch arbeiten gehen!

Andrea: Normalerweise spreche ich immer ein zusammenfassendes Schlusswort, aber das hast du mir diesmal abgenommen, liebe Katharina. Vielen Dank, ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen. Ich danke euch allen dreien für das sehr engagierte Gespräch und für euren Impuls des female Network Melaten, für das ich Euch viel Erfolg und Awareness wünsche.

Kontakt:

female Network Melaten

www.femalenetworkmelaten.de