Schreiben ist mein Beruf, es ist „das Ding“ mit dem ich meinen Lebensunterhalt verdiene und auch verdienen möchte. Ich möchte nichts anderes tun (ein gutes Gefühl). Schreiben ist aber auch eine Methode, mit sich selbst und dem Leben auf eine neue, intensivere Art in Kontakt zu kommen. Egal ob wir Kurzgeschichten schreiben, ein Tagebuch oder Briefe (von mir aus auch E-Mails): Durch das Niederschreiben von Gedanken und Gefühlen gewinnen wir Klarheit. Schreiben hilft uns, mehr über uns selbst, über die Welt und über unsere Mitmenschen zu erfahren. Was wir zu Papier bringen oder auf den Bildschirm bannen, das wird weniger diffus, greifbarer und kann uns helfen, Entscheidungen bewusster zu treffen. Vielleicht sogar, ein bisschen bewusster zu leben.
Schreibend mit der Welt auseinander setzen
Mit der wöchentlichen Schreibgruppe „Bewusst schreiben – bewusster leben“ hat sich im November 2020 eine kleine Gruppe von (bisher ausschließlich) Frauen auf den Weg gemacht, sich schreibend mit sich und der Welt auseinander zu setzen. Wie wir arbeiten, was wir tun und was dabei passieren kann, beschreibt Lea Heuser auf wunderbar wertschätzende Weise (vielen Dank!) in ihrem Blog, zum Beispiel hier.
„Wo finden wir die Kraft, um auf die inneren und äußeren Veränderungen der aktuellen Welt in angemessener Weise zu reagieren?“ Diese Frage stellt der Begleittext zum Workshop. Eine Antwort könnte sein: Dort, wo wir uns einer Gemeinschaft öffnen, die Anderssein nicht ausgrenzt, sondern begrüßt. In den Regeln, die wir als Gruppe zu Beginn des Kurses definiert haben, heißt es, dass wir das „tiefe Zuhören“ üben, aus Neugier und Mitgefühl, ohne gleicher Meinung sein zu müssen. Mitgefühl und / oder Einfühlungsvermögen sind meiner Meinung nach ganz besonders wichtig, um einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken, wie sie gerade durch polarisierende Ansichten und unterschiedliche Ängste befeuert wird. Um dieses Einfühlungsvermögen auf humorvolle Weise zu üben, haben wir im Workshop letzte Woche einen kleinen Kurzgeschichten-Contest durchgeführt.
Kurzgeschichten über Lampen, Bälle und Stühle
Einen Gegenstand, einen Ort und eine Redensart sollte jede von uns nennen und dann wurde wild gemischt. Milde Verwunderung bei den Teilnehmerinnen, als es hieß: Bitte schreibt die Geschichte aus der Sicht des Gegenstands – fühlt euch mal ein: Wie mag es sein, eine Lampe, ein Stuhl oder ein Ball zu sein – den lieben langen Tag? Interessanterweise hatten wir alle, wirklich alle, unsere Gegenstände mit einem gewissen Frustpotenzial ausgestattet! In unseren Kurzgeschichten fanden es all die Dinge nicht wirklich toll, rumzustehen oder rumgeschoben zu werden, in einer Reisetasche vergessen oder den Emotionen der „Besitzer“ ausgesetzt zu sein. Spannend, oder? Was sagt diese Zuschreibung von Gefühlen jetzt wiederum über uns als Erschafferinnen dieser Geschichten aus? Konnte sich da vielleicht jede von uns gut einfühlen in eine Situation, in der man förmlich unsichtbar seinen Dienst nach Vorschrift tut? Umso wichtiger also, mit dem Schreiben auch seine Stimme und sein Selbstbewusstsein zu stärken, finde ich und das fanden die anderen wohl auch, denn letztlich gingen die Geschichten für alle Gegenstände richtig gut aus. Wir haben ihnen nach ihrer kleinen Heldenreise ein Happy End gegönnt.
Hier nun, falls Du neugierig geworden bist, meine Geschichte aus den drei Vorgaben: Lampe, Obstwiese und „Et kütt wie et kütt“
„An! Aus! An! Aus! Immer das Gleiche, tagein, tagaus“, denkt die grüne Lampe, die seit zwanzig Jahren bei Familie Rüttger auf der Fensterbank steht. „Mach mich nicht an“, hatte Frau Rüttger letztens neckisch ihrem Mann hinterher gerufen. Der hatte nämlich seine Hand auffällig oft in Richtung des engbehosten Hinterteils seiner Gattin geführt. Die Lampe hatte innerlich geseufzt. Nicht wegen der vorhersehbaren Balzrituale des Ehepaars Rüttger. Nein, der Frust der Lampe ging tiefer – wenn sie nur sprechen könnte! „Mach mich nicht an. Lass mich doch mal ganz in Ruhe den Blick auf die Obstwiese genießen.“ Das würde die Lampe gerne sagen. Wenn sie könnte. Sie war (auch wenn es ihr dank ihrer guten Erziehung schwerfiel) ziemlich neidisch auf die Steh- und auf die Schreibtischlampe. Diese beiden durften ruhen, wenn Familie Rüttger Urlaub machte. Aber sie, da oben auf dem Fensterbrett? Sie brannte gerade im Familienurlaub Tag und Nacht. Einbrecher sollte sie abschrecken! „Pah“, dachte die Lampe, „als ob irgendein Einbrecher sich von mir kleinem Licht abhalten lassen würde.“ „Sowas hält doch heute keinen mehr ab“, sagt auch Opa Rüttger immer, wenn er die Blumen gießt und ergänzt, dass es sowieso kommt, wie es kommen muss: Et kütt, wie et kütt. Bisher ist immer alles gut gegangen und wenn die grüne Lampe ehrlich ist, dann ist sie sogar ein bisschen stolz auf ihre Rolle als Einbrecherschreck. „Genau! Wieso immer die Jammerei“, denkt sie und ein Ruck geht durch ihr Kabel. Positive Psychologie, da hat Frau Rüttger doch letztens von gesprochen? Sich auf das Gute konzentrieren, auf das was man kann, was man hat – „Sollte ich mal öfter machen“, denkt die Lampe und strahlt in den Abend hinein.
Und wenn Du jetzt noch neugieriger geworden bist und herausfinden möchtest, ob das bewusste Schreiben auch etwas für Dich sein könnte (Schreiberfahrung ist nicht nötig), dann melde Dich doch gerne für den nächsten Termin an und probier´s aus.