„… und so lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende.“ Wenn ich in meinen Textcoachings vom Prinzip der Heldenreise erzähle, herrscht meist Irritation. Es soll ein Prinzip geben, dass jedem Hollywood-Film und allen großen Geschichten, Mythen und Märchen zugrunde liegt? „Glaube ich nicht“, heißt es dann meistens. Probiert es aus – sage ich.

Tatsächlich ist die Heldenreise die Grundlage jeder erzählenswerten Geschichte und jedes Autorenworkshops. Sie ist der Zyklus, der uns seit Jahrtausenden als Zuhörerin oder Zuschauer am Ball hält. Die Heldenreise ist das Grundmuster für alles, was wir erleben und bereits erlebt haben. Damit ist sie ein Weg, packende Geschichten zu erzählen, die auf einer tiefen, persönlichen Ebene wirken. Grimms Märchen, Eifelkrimis, Harry Potter, Versicherungswerbung oder Transformers: Erfolgreiche Geschichten entstehen nicht durch Zufall, sondern weil sie einer klaren Struktur folgen. Es gibt Professorinnen an Film- und Medienakademien, die fordern ihre Studenten auf, die Heldenreise an einem beliebigen Film ihrer Wahl zu testen. Bisher ist es niemandem gelungen einen Film zu finden, der nicht nach dem vertrauten Muster funktioniert. Das ist kein Zufall, denn Stories werden so aufgebaut, dass die Zuschauer sie lieben. Und Zuschauer lieben Heldenreisen, weil sie sich in der Biografie jedes Menschen wiederfinden.

Große Gefahren und mächtige Gegner

Die Heldenreise – das ist die immer gleiche Geschichte von einem Helden oder einer Heldin, die einem (inneren) Ruf folgt. Sie macht sich auf einen langen und abenteuerlichen Weg, trifft auf Gefahren und mächtige Gegner. Aber auch Freunde, Unterstützer und Mentoren helfen dem Helden, Prüfungen zu bestehen und Schwierigkeiten zu überwinden. Oft erfährt er eine Art von Transformation, eine Wiedergeburt, einen Grenzübertritt und kehrt verwandelt in sein früheres Leben zurück. Hier kann die Heldin ihre neuen Kräfte und Erkenntnisse einsetzen, um die Welt zum Besseren zu wenden: Sie hat ihren Sinn gefunden.

Begonnen hat die Heldenreise irgendwann, irgendwo vor Jahrtausenden, vielleicht an einem Lagerfeuer. Von Mund zu Mund gingen damals die Geschichten, man erzählte sie sich, um voneinander zu lernen. Der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell stellte in den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts fest, dass all diese Geschichten Gemeinsamkeiten haben, dass sie einer typischen Dramaturgie folgen: Der Heldenreise. Sein Buch The Hero with a thousand faces erschien 1949 und war die Grundlage für Christopher Vogler, der das Modell nach Hollywood brachte. Voilà – schon hatten Millionen eifriger Drehbuchschreiberlinge ihren Masterplan für erfolgreiche Geschichten, von Vom Winde verweht bis Avatar.

Der Masterplan für Storytelling

Aber die Heldenreise ist nicht nur ein nützliches Werkzeug im Filmgeschäft, sondern auch in der Psychologie, der Persönlichkeitsentwicklung und im Marketing. Sie funktioniert überall dort, wo Storytelling – das Erzählen, Erleben und Nutzen von Geschichten – eine Rolle spielt. Im Contentmarketing ist die Heldenreise das A und O. Wenn wir aufhören wollen, ein Produkt über Features, den Preis oder die Holzhammermethode zu verkaufen, dann beginnen wir uns mit der Zielgruppe zu beschäftigen und wollen für sie Inhalte generieren, die auf der emotionalen Ebene berühren. Der Kunde wird zum Helden einer ergreifenden Story und findet im Hersteller einen wertvollen Mentor, der ihn durch alle Schwierigkeiten leitet, bis man am Ende gemeinsam den Sonnenaufgang betrachtet. Ein wundervolles Beispiel ist für mich das „tutu-project“, das durch die Telekomreklame weltweit bekannt wurde. Fazit: Wer die Heldenreise drauf hat, kann gute Geschichten erzählen.

Auch im Technologiemarketing funktionieren Anwenderstories, Case Studies oder Best Cases am besten, wenn die Autoren der Heldenreise folgen. „Welches Problem wurde gelöst und was ist jetzt besser?“ ist die Grundfrage jeder Case Study. Ich erlebe leider immer wieder, das Unternehmen in den Fehler verfallen, sich als Helden der Story zu begreifen. Sie erzählen, welches Problem sie für sich gelöst haben. Aber das interessiert den Leser nicht. In dieser Heldenreise ist der Erzähler nicht der Held – er ist der Mentor und  löst das Problem für den Helden, den Kunden. Wie er es löst, das erzählt er dann in einer wunderbaren, eingängigen Geschichte. Egal ob wir dieses Erzählmuster für die Sozialen Medien nutzen, für die Webseite, ein E-book oder ein Jahrbuch: Die Heldenreise ist der Weg, packende Erlebnisse zu erzählen – persönlich, zum Miterleben.

Die Heldenreise als Weg zu uns selbst

Deswegen eignet sich die Heldenreise auch hervorragend für das biografische oder intuitive Schreiben. Wir können viel über unser Leben begreifen, wenn wir beginnen, es als Heldenreise zu erzählen. Wenn alle Mythen derselben Reise folgen, scheint sie tief in unserem Bewusstsein verankert zu sein. Nutzen wir dieses Wissen, können wir Erlebnisse besser einordnen, Zufälle verstehen und lernen, mit den Besonderheiten unseres Lebenslaufs im Einklang zu leben. Im biografischen Schreiben ist der Held der Aspekt unserer Persönlichkeit, der das Abenteuer akzeptiert, der Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit lebt. „Das schaffe ich nie“, denken die Helden in jeder Geschichte – genau wie wir. Als Leserin wissen wir, dass die Helden es schaffen werden, weil sie starke Helfer haben. Auch wir können uns daher auf uns, auf unsere Freunde und Mentorinnen verlassen. Wir können beginnen, unsere Geschichte neu zu erzählen und sie als Initiation für das Ich-Sein begreifen. Genau wie die Helden einer Geschichte haben wir uns irgendwann auf den Lebensweg gemacht und zahlreiche Übergänge, Veränderungs- und Reifeprozesse durchlaufen. Im biografischen Schreiben können wir wachsen, wenn wir diesen Weg nachzeichnen, Bewusstheit und Klarheit erwerben. Wir können den hindernisreichen Weg schreibend bewältigen, den wir gegangen sind, um genau das einzigartige Selbst zu werden, das wir gerade sind. Und wir können die Geschichte weitererzählen.

Joseph Campbell sagt: „Die Erfahrung deines Lebens ist das Privileg zu wissen wer du bist.“ Also – begib dich auf die Reise und probiere es aus. Stelle dir schreibend ab und zu die Frage, an welcher Stelle der Heldenreise du gerade stehst. Solltest du dir jetzt eine Mentorin suchen, gilt es eine Hürde zu überwinden? Welcher Schatz ist zu heben? Was ist dein Sinn? Wo sind die Menschen, die als Gemeinschaft mit dir deine Reise beschreiten?

Das Grundmuster der Heldenreise

Für mich bedeutet die Heldenreise das Angebot, gute Geschichten zu erzählen und die eigene Geschichte auf eine neue Art und Weise zu betrachten, mein Bewusstsein für Herausforderungen und für Veränderungspotenziale zu schärfen. Die Heldenreise in Kurzform:

  1. Gewohnte Welt
  2. Ruf
  3. Weigerung
  4. Mentor / Hilfe
  5. Bewährungsproben und Verbündete
  6. Bewährungsproben und Gegner
  7. Klimax (gefährlichster Punkt)
  8. Entscheidende Prüfung / Konfrontation
  9. Mein Schatz
  10. Rückweg / Auferstehung / Zurück über die Schwelle des Gewohnten
  11. Reife und Integration des Neuen
  12. Anerkennung / Feier

Wer mehr wissen möchte, findet eine schöne Darstellung (von einem Flipchart-Trainer) zum Beispiel hier. Ein Anbieter von Heldenreisen zur Persönlichkeitsentwicklung ist zum Beispiel die Firma Soul Events aus Köln.