Vimeo

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Kennt Ihr das Projekt „Starke Frauen“ noch nicht? Dann könnt Ihr Euch hier das Einführungsvideo (5 Minuten) ansehen oder es lesen.

(Hinweis: Wer das Videointerview mit Regina schon gesehen hat, liest bitte direkt an der Stelle weiter, wo der Text wieder schwarz wird. Die grünen Zeilen sind eine Abschrift des Video-Interviews für alle, die lieber lesen als gucken)

Hallo zusammen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Willkommen bei einer neuen Gesprächsrunde der Starken Frauen. Ich bin heute mit Regina Hunschock verbunden und freue mich sehr auf unser Gespräch. Regina ist Diplompädagogin, Geschlechterforscherin, integrale Philosophin und sie schreibt, mal poetisch, mal akademisch und meist zu feministischen Themen. Regina ist freischaffend als Coach und systemische Aufstellerin tätig (www.regina-hunschock.de) und arbeitet im öffentlichen Dienst als Leiterin eines Bürgerzentrums. Regina hat die Feminasophie begründet, über die wir uns später noch unterhalten werden, erst einmal stelle ich meine erste Frage: Regina, was ist für Dich eine starke Frau?

Regina: Das ist eine gute und eine schwere Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Ich beschäftige mich seit meinem 17. Lebensjahr damit und habe, um Weiblichkeit besser zu verstehen, eine große Reise gemacht. Letztlich geht es darum, von wo aus ich weibliche Stärke betrachte, und – hat sie nicht sogar etwas Positives? Ich sehe eine Frau, die stark ist, die ihr Leben geregelt kriegt, die eine gewisse Autorität aufgebaut hat, selbstsouverän ist. Sie hat sich mit ihren Schatten beschäftigt, mit ihrer Selbstwirksamkeit – also, eine starke Frau ist für mich eine Frau, die ganz viele Dinge von sich selbst integriert hat und lebt. Gleichzeitig ist das Betonen der „starken Frau“ gesellschaftspolitisch immer ein bisschen so, als müsse ich es extra hervorheben, dass eine Frau in einem Moment Stärke zeigt, also etwas Besonderes tut, um in der Gesellschaft sichtbar zu werden.

Ich bin hier gerade auf einem Pferdehof mit vielen jungen Leuten, Anfang 20. Ich habe eben zwei der Frauen und einen jungen Mann gefragt, was sie unter einer starken Frau verstehen. Die Frauen sprachen von Souveränität, sagten „ich bin bei mir angekommen, freier geworden“. (Was man mit 21 halt so sagt, frisch weg von zuhause ????.) Und was macht der junge Mann? Stellt sich hin in die Muskelmannpose – er hat Stärke direkt physisch interpretiert. Und dann gab es einen Diskurs, der sogar ein bisschen lautstark wurde. Eine der jungen Frauen sagte schließlich, dass sie früher, als sie noch einen Freund hatte, also einen starken Mann an ihrer Seite, überhaupt nicht stark gewesen sei. Erst seitdem sie mal ihr eigenes Leben in die Hand nähme und ihr Ding mache, fühle sie sich zum ersten Mal selbstbewusst und stark. Also – Du siehst, wir können das sehr unterschiedlich betrachten, aber für mich ist eine starke Frau, um es nochmal aufzugreifen, eine Frau mit Souveränität und mit einer Autorität, die sie auch unabhängig davon macht, wie andere Menschen sie bewerten. Das heißt, mag es auch mal unangenehm oder provozierend werden: Eine starke Frau weiß, wohin sie will und geht in die Arena, zieht ihr Ding durch, nimmt durchaus auch Unannehmlichkeiten in Kauf, sucht sich vielleicht auch Verbündete, vielleicht andere Frauen im Betrieb, die sie in ihren Stärken unterstützen.

Andrea: Das gefällt mir gut, dieses Bild der Frau in der Arena, mit Mut und Schweiß. Auf der einen Seite, die Stärke, bei sich zu sein und niemanden hinter sich zu benötigen. Auf der anderen Seite aber auch die Stärke, sich Verbündete zu suchen.

Regina: Ich kann Dein Bild noch ergänzen. Durch meine lange Lebensreise, ich bin ja vor einigen Tagen sechzig geworden, habe ich verschiedene Stufen der Frauenbewegung miterlebt und glaube mittlerweile, dass sich die Stärke einer Frau ganz besonders in einem Moment der Unsicherheit zeigt. Wenn sie gar nicht genau weiß, wohin der Weg geht und dann nicht alles wissen muss, sondern auf ihre Intuition vertraut und sagt „da gehe ich lang und ich mache nichts „richtig“ oder „falsch“, sondern ich mache eine Erfahrung“. Und die Verbündete, die Freundin oder die Schwester, ist bei ihr und sagt „Mach weiter, auch wenn du’s gerade nicht weißt, ich bin da und mach bitte weiter.“

Andrea: Ich habe auf Deiner Internetseite eine Frage gefunden, die ich gerne an Dich weitergeben möchte. Du vertrittst einen Ganzheitsansatz der Geschlechter und fragst Dich, welche neuen, erweiterten Konstruktionen von „weiblich“ und „männlich“ eine Unternehmenskultur benötigt, um in zunehmend internationalen, vernetzten, gesättigten und wenig planbaren Umwelten Ziele zu erreichen.

Regina: Ich fange mal an, den Bogen weit zu spannen, um diese Frage zu beantworten, beginnend beim Gleichheitsfeminismus der 70er und 80er Jahre. Der hat das weitergeführt, was Frauen in den ersten Emanzipationswellen an Rechten erkämpft hatten, Bildungsrecht, Wahlrecht und so weiter. Dann ging es darum, dass die Frau teilnehmen sollte, im öffentlichen Raum, mit den Männern. Aber da wurde die Frage nach der Ordnung nicht gestellt, denn im Grunde genommen haben wir die Frauen zu immer mehr Selbstbehauptung trainiert und teilweise auch „männlicher“ gemacht, damit sie diesen patriarchalen Kampf auch mitkämpfen können. Die Frage, die wir jetzt stellen sollten, lautet: Ist die Welt, ist die Kultur, ist die Ordnung überhaupt die richtige, damit sich die Frauen in ihr bewegen können? Von daher glaube ich, dass wir einen beyond-Gender-Ansatz benötigen, in dem wir die Kultur definieren, die wir brauchen. Eine nachhaltigere oder eine sozialere Kultur oder eine Fürsorgepolitik, in der Menschen – also Männer, Frauen oder auch andere Geschlechter – ihr Bestes geben, ihr Einzigartiges. Diese Herangehensweise würde nicht mehr ständig in die Identitätspolitik hineinreichen oder den Gleichheitsansatz einer dysfunktionalen, immer noch irgendwie patriarchalen Ordnung transportieren. Wenn wir uns unsere globale Gesellschaft angucken, ist alles sehr komplex, sehr viele Kulturen, alleine in Europa kommt da einiges zusammen. Wie wollen wir denn das Intelligente in uns Menschen, also eine nächste mögliche Kultur, überhaupt hervorrufen, wenn wir in den alten Geschichten, in alten Narrativen bleiben? Also brauchen wir neue Geschichten, in deren Rahmen wir in dieser komplexen Welt handeln können, und die haben für mich ganz viel damit zu tun, dass wir beyond Gender gehen und mehr auf uns als Menschen gucken und auf die Fähigkeiten, die wir benötigen.

Andrea: Das würde ja für die Unternehmen heißen, dass sie nicht mehr hingehen und Gleichstellung managen oder Frauen stärken, sondern dass sie die grundsätzliche Frage stellen: Was für eine Kultur wollen wir haben? Sie würden nicht mehr Frauen für die vorhandene Kultur trainieren, sondern hingehen und alle fragen – beyond Gender – Welche Kultur wollt ihr eigentlich leben?

Regina: Schau mal, wenn Du in die Unternehmen guckst, da werden aktuell Männer zu mehr Empathie trainiert, zu eher weiblichen Skills, weil man will, dass die Männer „besser führen“ aber in der Hierarchie bleiben. Warum nehmen sie nicht das Original? Warum befördert man nicht die Frau in der zweiten oder dritten Ebene, die vielleicht einen Führungsstil hat, der perse mit mehr Empathie, Kommunikationsstärke, Kontaktpflege ausgestattet ist? Oder gucken wir auch mal aus der integralen Perspektive, dann gibt es Frauen, die müssen vielleicht noch an bestimmten Stellen „nachreifen“, andere Frauen brauchen gar keine Förderung, weil sie schon ganz viel Reife, Stärke und Souveränität mitbringen. Da kann man vielleicht stattdessen mal den Kollegen fördern, vielleicht zur Frage, wie man als Führungsperson Entscheidungen trifft, die für die Umwelt gut sind.

Andrea: Ich finde die Frage, warum man nicht die Frauen nimmt, also das Original, sehr spannend.

Regina: Ja, warum nimmt man die nicht? Wegen der Hierarchie denke ich mal. Dieter Zetsche hat als Vorstandsvorsitzender von Daimler Benz auf eine Fragestellung rund um das Ob und Wie von mehr Frauen in Vorstandspositionen mal – sinngemäß – gesagt „Klar, wir haben tolle Frauen hier, alles super, aber wohin dann mit den Männern?“ Das war der Brüller. (lacht) Tja, wohin mit den Männern, denn die wüssten dann ja gar nichts mit sich anzufangen. Andererseits – wir Frauen haben ja jetzt viel Zeit in Frauenkreisen verbracht, haben Trainings absolviert, um weiterzukommen. Oder wir haben Halbtagsjobs gemacht, Kinder betreut und großgezogen. Das sind Dimensionen, die sich auch ein Mann mal vorstellen könnte, oder? Mensch, ich mach auch mal einen Halbtagsjob, beschäftige mich mit anderen Themen, nehme mir vielleicht mal ein bisschen Zeit für mich, geh von mir aus auch in eine Männergruppe. Wir könnten das alles ein bisschen umkehren, dann wüssten wir „wohin mit den Männern“.

Andrea: Das ist ja wirklich der Brüller. Andererseits, sehr pragmatisch, wir können keine Frauen (be)fördern, weil wir nicht wissen, wohin mit den Männern. Zack. Das heißt, es geht bei all den Fragen nach Quote, Frauenförderung usw. auch immer um die Frage „Wohin mit den Männern, die Platz machen müssen?“, denn für Männer ist Platzmachen – wenn es mit Hierarchieverlust einhergehen sollte – auch immer Gesichtsverlust? Wenn das alles so ist wie gerade besprochen, dann scheint es tatsächlich sinnvoll, den Denkraum zu erweitern und beyond Gender zu denken – wie wollen wir in Zukunft unser Zusammenleben und -arbeiten organisieren? Ich glaube, das ist auch eine der Fragen, die hinter der Begründung der Feminasophie stand, oder?

Regina: Feminasophie stellt in jedem Fall eine Art Höhepunkt meines Lebens, meines Denkens, meiner Wege dar. Ich möchte eine neue Art des Femina-sophischen Denkens in die Welt bringen, eine feministische Philosophie, auch als eine Art Schule, die sich unter anderem mit folgenden Fragen beschäftigt: Was brachte der Feminismus der letzten 150 Jahre? Was bedeutet Diversity? Was kann Gleichstellungspolitik? Was war eigentlich vor dem Patriarchat, was war das Matriarchat, was ist matrifokales Denken? Was ist aber auch integrales, systemisches Denken? Also im Grunde ist Feminasophie ein großer Wurf für eine Art Schule und als nächste, größere Mission habe ich eigentlich den Wunsch, dass es eine Universität von Frauen geben wird, da gab es weltweit zwar schon Bemühungen, aber nie langfristig. Mein Vorbild ist die Anthroposophie, dort hat man ja Schulen, Hochschulen gegründet, sogar eine Bank. Ich glaube, die Zeit ist reif dafür. Es sind genügend Frauen unterwegs, die so viel Wissen, so viel Weisheitskompetenz vertreten können. Wir können gemeinsam viel anbieten. Das wäre Feminasophie als Schule, als Akademie.

Gleichzeitig beschreitet Feminasophie aber auch den innerlichen Weg, den Weg innerer Ausrichtung, um ein bisschen vom dualistischen Weltbild loszulassen. An was docke ich da an? Mir ist es immer schwer gefallen, vom Herrgott zu sprechen, die Feminasophie ist eher ein Tempel für weibliche Weisheit und für einen sakralen, spirituellen, weiblichen Weg. Damit können wir eine Spiritualität eingliedern, die die feministische Gleichheitsbewegung immer ausgeklammert hat, weil sie als „esoterisch“ oder als „biologistisch“ abgetan wurde. Die Frauen befürchteten, ihre natürliche Weiblichkeit wieder in einem Klischee zu fixieren.

Andrea: Das alles möchtest Du vermitteln.

Regina: Ja, denn ich halte es gerne mit Simone Weil, die damals sagte, dass wir nicht an Gott glauben müssen, um dem Faschismus etwas entgegenzusetzen. Wir brauchen, sagte sie, das Konzept Gott, um an das Gute im Menschen zu glauben. Das heißt für mich, ich muss nicht an die Göttin glauben, ich muss auch gar nicht beweisen, dass es irgendwann mal die große Mutter gegeben hat. Aber es gibt eine weibliche Spiritualität und es gibt ein sakrales, spirituelles Erbe in uns und das dient uns wie eine Matrix, an der wir uns orientieren können. Ich stelle mir vor, eine Kirche, einen Tempel, zu haben, einen Ort, an dem ich Weiblichkeit und Heilung vermittle, in Form, in Farben, auch im Klang. Diesen Ort, diesen Tempel suche ich und ich werde ihn finden. Eine Kirche, die wir Frauen lieben werden und gestalten, so heißt es auf der Webseite.

Andrea: Ich sehe vor mir ein kompaktes Bild von Tempel, Schule, Akademie und Bibliothek. Das heißt, neben der Denkrichtung Feminasophie suchst Du auch einen ganz konkreten Ort?

Regina: Ja, das ist richtig, ich bin gerade dabei, einen Standort näher zu betrachten, auszuloten, ihn mit einer neuen Kultur, einer Lebensdienlichkeit auszustatten. Trotzdem soll der Gedanke der Feminasophie nicht an einen Ort gebunden sein. Als Stiftung, mit einem stimmigen Konzept, kann Feminasophie auch in Freiburg oder Hamburg stattfinden, vielleicht mit eigener Note, aber im Grundsatz gebunden an weibliche Weisheit, an sakrale Urspiritualität und an integrales Bewusstsein. Es gibt unendlich viele Lehrerinnen, Künstlerinnen, wissende Frauen und auch Männer, die mit Jungs oder mit Männern einfach anders arbeiten wollen, auch in der Unternehmensberatung. Menschen, die in den Startlöchern stehen und überall schon ihr Ding machen, ja, eigentlich genauso wie Du, man interviewt die Frauen und Männer, man bringt sie zusammen, das Netzwerk wird stärker. Wenn alle etwas tun, dann ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann diese Kirche wirklich gebaut wird. Aber das kann ich nicht alleine stemmen, sowas kostet auch Geld und Ressourcen.

Andrea: Ich kann mir vorstellen, dass so ein Projekt viele Ressourcen benötigt. Es ist eine wunderschöne Vision, der Du Dich da verschrieben hast. Was willst Du erreichen? Was treibt Dich, warum stehst Du jeden Morgen auf? Was willst Du verändern für Frauen, für die Gesellschaft, für unsere Kultur?

Regina: Der rote Faden ist immer der gleiche. Es hinterlässt mich fassungslos, traurig und wütend, wenn Frauen oder Mädchen Gewalt erfahren. Es hat eine Bedeutung, wenn Frauen in Kriegen immer wieder Gewalt erleben, denn wenn man das lebengebende Weibliche zerstört, dann zerstört man Kulturen und Völker. Aber wir müssen weiter denken und uns fragen, wie wir alle Mitglieder eine Gesellschaft, auch Männer und Jungs, dahin kriegen, dass sie sich überhaupt nicht mehr vorstellen können, Gewalt gegenüber diesem weiblichen Körper auszuüben und damit unsere weibliche Sakralität zu zerstören. Es gibt mir Sinn, wenn ich morgens wieder in der Zeitung von einer vergewaltigten Frau lese, dann will ich sie in unseren Tempel einladen und heilen, so dass sie wieder in ihren Körper zurückfindet und zu ihrer Stärke, dass sie fröhlich wird, ihre Schönheit fühlt, ihren Mut lebt, unantastbar zu sein und trotzdem mit ihrem Körper voll in der Hingabe sein kann. Das ist der eine, treibende, Aspekt und zum anderen finde ich auch die Kulturveränderung eine ganz spannende und sehr freudvolle Arbeit.

Andrea: Es geht Dir darum, eine Gesellschaft mitzubegründen, in der die Menschen so weit sind, dass Gewalt gegen Frauen keinen Raum mehr hat, nicht mehr gebraucht wird, weil ihre Spiritualität und Weisheit nicht mehr als Gefahr gesehen werden?

Regina: Ja, und wo weibliche Spiritualität auch nicht mehr als esoterisch abgetan wird, nicht für voll genommen wird. Also, praktisch ein echter Paradigmenwechsel.

Andrea: Ich habe das Gefühl, dass bereits an vielen Stellen an diesem Paradigmenwechsel gearbeitet wird. Hast Du das auch oder glaubst Du, es ist noch zu wenig?

Regina: Nein, es ist nicht zuwenig, Du hast Recht, ich kann das sehr genau beobachten. Wenn ich mir alte Seminarunterlagen anschaue, dann habe ich schon vor 20 Jahren darüber gesprochen, warum wir mehr Weiblichkeit benötigen. Aber jetzt, nach 20 Jahren, merke ich, dass die Zeit reif ist, dass ich das Wort „Weiblichkeit“ in der Unternehmensberatung nutzen kann, ohne dafür ausgelacht zu werden. Oder – wer sich mit Yin und Yang beschäftigt, der sieht: Yang ist in vollem Überschuss. Die Welt brennt, es wird überall viel zu heiß, die kühlende Wirkung des Yin ist komplett unterdrückt und ist nicht im Gleichgewicht. Das spüren ganz viele.

Und deswegen, glaube ich, können sich auch Männer für ein neues Paradigma stark machen, wenn sie auf der Verstandesebene die Dynamik des weiblichen Prinzips in sich erkennen können und verstehen, dass sie erst dann zum vollständigen, empfänglichen Mann werden und ihre Stärke auch leben können, wenn sie das Weibliche in sich integriert haben. Manchmal müssen vielleicht sogar erst die Männer eine Einladung zur Veränderung aussprechen, das mag immer noch so sein. Aber ich lese viel und habe schon öfter erlebt, dass so manche Männer, die jetzt über das weibliche Prinzip schreiben, das alles abgeschrieben haben. Wenn ich das sehe, frage ich mich, wo der Dank an all die Frauen ist, die schon 100 Jahre vorher geforscht haben?

Andrea: Das entspricht ja dem, was ich in unserem Vorgespräch sagte, dass die Frauen nach wie vor die Vorarbeit machen und die Männer dann damit auf die Bühne gehen.

Regina: Ja. Ich sage manchmal ganz bewusst, dass das männliche Ego ein Dieb ist. (lacht) Ich war mal auf einer After-Work-Party in einem DAX-Unternehmen und am Buffet sagte ein Mann zu mir – „Wissen Sie, Frau Hunschock, wir brauchen die Frauen in der zweiten und dritten Reihe, sonst kommen wir doch nicht weiter“. Klar, denn das sind die, die Konzepte schreiben und kluge Gedanken haben und alles gut zusammenfassen, aber der Chef steht natürlich auf der Bühne.

Andrea: Jetzt mal ganz was anderes. Die Frauen in der zweiten und dritten Reihe fühlen sich wohl, weil sie kreativ und konzeptionell arbeiten und die Männer in der ersten Reihe fühlen sich wohl, weil sie vorne stehen und sich präsentieren können. Also, wo ist denn das Problem?

Regina: Na ja, wenn aber die ganze gesellschaftliche Entwicklung von bestimmten Vorteilen abhängt, ob das jetzt Rentenpunkte sind oder soziale Anerkennung oder mehr Lohn und Gehalt, dann hat die Frau definitiv erstens keinen Vorteil und außerdem zweitens noch viel mehr Arbeit. Was die meisten nicht wissen ist, dass die Arbeit nicht mehr, sondern weniger wird, je höher man kommt. Dort habe ich zwar immer noch das Wissen, benötige aber vor allem die Fähigkeit, Wissen zu moderieren und zu identifizieren – eigentlich hätten Frauen also ein leichteres Leben, wenn sie sich trauen würden, in Führung zu gehen.

Andrea: Raus aus dem Tun, rein ins Moderieren und Verbinden von Wissen. Also ist Führen nicht Vormachen, sondern coachen zum Selbermachen, aber das gilt ja nicht nur für Frauen, es gilt eigentlich auch für ein neues Führungsverständnis der Männer – Raus aus der Expertenrolle des Machenden, rein in die einladende Rolle: „Du kannst das gut, du kannst jenes gut, ich bring euch mal zusammen, ja?“

Regina: Ja, und früher gab es den Schlausatz „Wissen ist Macht“. Aber der stimmt nicht, Macht ist das geteilte Wissen von vielen, die etwas Neues, Zusammenfassendes in die Welt bringen, was wirklich Zukunft bedeutet.

Andrea: Apropos „Wissen ist Macht“, Du bist ja Erziehungswissenschaftlerin. Was sollte sich denn Deiner Meinung nach in den Schulen, in der Bildung der jungen Menschen ändern? Was dürfen wir bei der nächsten Generationen anders machen, um die Art von Kultur zu schaffen, die Du anstrebst?

Regina: Da passiert schon sehr viel, Margret Rasfeld (https://www.margret-rasfeld.de und https://schule-im-aufbruch.de) zum Beispiel hat schon sehr viele schöne neue Gedanken in diese Schulwelt gebracht, wo Schüler und Schülerinnen zum Lehrer werden, ihre Lehrer coachen, selbst Verantwortung übernehmen, da läuft schon einiges. Andererseits, wenn ich strukturell auf das Schulsystem schaue, dann sehe ich, dass die meisten LehrerInnen oder PädagogInnen Löcher flicken. Alle sieben Jahre kommt mit der nächsten Generation wieder dasselbe Thema hoch und die Erzieherinnen und die Grundschullehrerinnen, die sind echt müde. Es gibt zu wenige, sie flicken Löcher und müssen immer nur aufpassen, dass nichts noch Schlimmeres passiert. Ich glaube, das ist nur systemisch aufzubrechen. Na ja, und die Inhalte, da hätte ich schon einige Ideen – mehr mit dem Körper in Kontakt kommen, mit der Natur, mit den Bäumen, mit den Pflanzen … mit ganz anderen Unterrichtsstoffen die Kinder viel freier lassen, mehr auszuprobieren, Fächer wie Glück einführen, auch Finanzen unterrichten – wie verstehe ich Geld? Ich weiß, dass viele Lehrerinnen da dran sind, aber das Inhaltliche und das Systemische müssen Hand in Hand gehen, sonst haben wir nachher unheimlich entwickelte Menschen, aber wir haben keine Struktur, an die sie andocken können.

Andrea: Du hast gerade das Thema Geld angesprochen. Die Frage muss ich zum Ende noch stellen, weil ich gelesen habe, dass Du Dich auch mit dem Thema „Frauen und Geld“ intensiv auseinandergesetzt hast. Und es klang ja in unserem Gespräch auch öfter die systemimmanente Ungerechtigkeit an – der Mann „muss“ ernähren und verdienen, die Frau begnügt sich mit Teilzeit und mit einer finanziellen Abhängigkeit.

Regina: Ja, Finanzen, auch ein großes Feld. Ich erlebe bei Frauen nach wie vor Schüchternheit, Unverständnis und Unwissen beim Thema Geld. Frauen haben unglaublich viele Wissenslücken, was Wirtschaft, was Finanzwesen oder Volkswirtschaft angeht. Da verlässt frau sich dann schon mal eher auf den Ehemann, der dann alles regelt. Und bei der Scheidung stellt sie fest, dass die Lebensversicherung vor 20 Jahren eben nicht gemacht wurde. Gut, ich rede jetzt von unserer Generation – oder älter – ich weiß nicht, wie es bei den Jungen aussieht, aber ich möchte allen Frauen raten: Beschäftigt Euch mit dem Thema Geld und der Frage, wie unsere Finanzsysteme, unsere Geldflüsse funktionieren. Spannend ist es auch, mit Frauen ihre Geldbiografie auszuarbeiten – Vater, Mutter, wer ist mit Geld wie umgegangen und was macht das mit mir? Schenke ich eher oder bin ich eher bedürftig, brauche ich Sicherheit? Wenn man mit solchen Fragen in die Aufstellung geht, dann hat es immer mit Beziehung zu tun – Geld, Liebe, Beziehung, das hängt alles zusammen.

Unser Geldverständnis, unser Verständnis von Rendite und Fülle bezieht sich noch auf die alte Kultur, auch hier benötigen wir eine Transformation. Es gibt ja jedes Jahr (und jedes Jahr früher) den Earth-Overshoot-Day, den Erdüberlastungstag, ab diesem Datum nehmen wir der Erde mehr weg, als wir ihr geben. Das ist unser Beziehungsverständnis – wir nehmen, anstatt zu geben. Wir könnten üben und lernen, in Beziehungen mehr zu geben, auch der Erde, das ist das wichtigste Prinzip, das ich immer wieder entdecke – Fülle besteht immer zuerst aus Geben.

Andrea: Wir könnten das Prinzip der Fülle gegen den Mangel stellen und auch das könnte eine Aufgabe sein, die eine neue Kultur, die beyond Gender denkt und lebt, berücksichtigt. Regina, ich danke Dir herzlich für die vielen Gedanken und Ideen, die Du mit uns geteilt hast und ich wünsche Dir von Herzen Glück und Erfolg mit der Feminasophie und mit Deinem Tempel, in dem wir uns hoffentlich bald begegnen werden.

Kontakt:

Regina Hunschock
kontakt@regina-hunschock.de
www.regina-hunschock.de

www.feminasophie.org