Mir ist aufgefallen, dass ich seit nunmehr 20 Jahren Interviews führe. Zu Themen aller Art, mit Menschen aller Art. Macht mich das zu einer Fachfrau, die hier Tipps geben kann? Einerseits ja – weil ich viel Erfahrungswissen habe. Andererseits nein – weil in der Begegnung mit einem Menschen und seinem Wissen die Situation immer wieder neu und anders ist. Kein Interview ist wie das davor, jedes wird anders sein als das folgende. Gerade dieses Immerneue ist für eine neu-gierige Frau wie mich sehr anregend. Und immer noch aufregend. Gleich um 12.30 Uhr werde ich ein Interview für meine Gespräche über Starke? Frauen  führen. Ich bin nervös. Wird alles klappen, wird sich die Interviewpartnerin auf das Thema, auf meine Fragen, vielleicht sogar auf eine Kontroverse einlassen? Werden wir es gemeinsam schaffen, in die Tiefe zu gehen, einen Mehrwert zu generieren? Neue Aspekte aufzuwerfen? Denn darum geht es ja – zumindest für mich – beim Dialog: Einem bereits vorhandenen Wissen X ein neues, spannendes Wissen Y hinzuzufügen – einen neuen Aspekt, eine andere Sichtweise oder auch eine ungelöste Fragestellung, bei der wir am Ende sagen: Spannend, damit müssen wir uns nochmal beschäftigen.

Nein Andrea, so ist das nicht

Beim Lesen des Obenstehenden wird jetzt manche/r Journalist:in den Kopf schütteln – nein, Andrea, das ist es nicht. Ein Interview stellt nur das Wissen einer Fachperson zu bestimmten Sachfragen dar oder rückt – als Personal Story – die Person in den Mittelpunkt. Du als Interviewende bleibst da bitte völlig außen vor, völlig neutral. Ja, das stimmt. Einerseits. Ist andererseits ähnlich wie die Sache mit dem Einhorn*: Neutralität ist unmöglich, denn meine Fragen, meine Haltung, allein meine Mimik oder ein Seufzen, Zucken werden meinem Gegenüber einen Rahmen setzen. Also – MEINE ICH – versuchen wir die Sache mit der Neutralität erst gar nicht, sondern stürzen wir uns gemeinsam und mit voller Begeisterung in das Leben – werden wir Co-Kreativ in dem Wissen, dass wir – siehe Punkt 4 – in einem offenen, urteilsfreien Raum etwas Neues, Wertvolles schaffen können.

Wenn ihr also an Co-kreativen Dialogen interessiert seid, dann können die folgenden Tipps euch helfen.

  1. Bereite Dich vor.

Kläre unbedingt für dich den Sinn des Interviews. Was willst oder sollst du erreichen? Lerne dann durch Recherche und ggf. ein Vorgespräch deine Gesprächspartner:innen kennen. Je besser du dein Gegenüber kennst, desto gezielter kannst du Fragen stellen und das Gespräch führen. Nichts ist schlimmer als Allerwelts-Interviews, die mit uninspirierten Antworten an der Oberfläche hängen bleiben, weil die Interviewer schlecht vorbereitet sind. Bereite dich auch persönlich vor: hast du etwas zu schreiben, etwas zu trinken, fühlst du dich wohl in deinen Klamotten? Sitzt du gut? Atme ab und zu tief durch, achte darauf, dass dein Atem ruhig fließt, das beeinflusst die Stimme sehr.

  1. Bereite die Interviewpartner vor

Stelle sicher, dass du und deine Gesprächspartnerin auf einem Informationslevel seid. Kläre vorab offene Fragen und Unsicherheiten. Schaffe eine Atmosphäre, in der Vertrauen und eine Verbindung zwischen euch möglich wird – ihr arbeitet am gleichen Ziel.

  1. Bereite den Ort vor

Sorge für einen störungsfreien Raum und eine gute Ausstattung. Bei virtuellen Gesprächen oder generell bei Gesprächen, die per Kamera aufgezeichnet werden: Gute Kamera, guter Ton, stabile Internetverbindung. Ruhiger Bild-Hintergrund, gute Lichtverhältnisse, störungsfreie Aufnahmeperiode. Solltest du dich mit einem echten Menschen vis-a-vis treffen (auch das soll es heute noch geben, habe ich mir sagen lassen 😊), gelten auch hier die obigen Vorgaben. Zudem: Achte auf den Abstand zum Interviewpartner – rücke ihr nicht zu nah auf die Pelle, das kann (gerade introvertierte) Menschen nervös machen.

  1. Schaffe den Raum, halte den Raum

Das ominöse „Raumhalten“. Man hört öfter davon, aber was ist das genau? Mit diesem Raum ist die innere und äußere Möglichkeit gemeint, sich zu öffnen. Das geschieht zum einen durch die oben beschriebene störungsfreie, ruhige Umgebung. Viel wichtiger ist allerdings deine Haltung als Interviewer:in: Du machst den Unterschied! Du kannst durch deine Haltung dein Gegenüber „zum Reden hören“, wenn du fokussiert sowie wert- und urteilsfrei und tief zuhörst. Dann schaffst du eine Atmosphäre, in der alles möglich ist, alles gesagt werden kann, nichts albern oder falsch ist. Diese Sicherheit entsteht gerade bei Interviews auch durch die Zusicherung, dass der Interviewpartner das Ergebnis noch zur Freigabe bekommt. Diesen Satz sage ich seit 20 Jahren: „Du kannst sicher sein, dass nichts von diesem Gespräch erscheinen wird, ohne das du es freigegeben hast.“ (Ich weiß, dass das im Journalismus unüblich ist, gerade im Tagesgeschäft oft sogar unmöglich, aber in meinen Interviews und Tätigkeitsbereichen funktioniert es und dafür bin ich dankbar.)

  1. Kläre gründlich, worüber ihr sprechen wollt

Das klingt erst mal selbstverständlich, oder? Ist es aber nicht, denn unser Verständnis von Sprache resultiert aus unseren Erlebnissen und Wahrnehmungen. Worte wie „Integration“, „Toleranz“ oder auch Angaben wie „bald“ oder „angemessen“ haben für mich eine komplett andere Bedeutung als für dich. Im Hinterfragen solcher Flutschworte wird der Mehrwert für die Leserschaft deutlich, weil Tiefe entsteht.

  1. Stelle auch mal eine Ja-/Nein-Frage

Hast du auch gelernt, dass offene Fragen das A und O guter Gespräche sind? Das stimmt, denn sie leiten ausführliche Antworten ein. Für die Gesprächspartner und auch die Leserinnen eines langen Interviews kann allerdings ein kurzes, klares Ja oder Nein entspannend sein, für Hirn und Auge.

  1. Stelle die richtigen Fragen

Das gehört zum Punkt „Vorbereitung“. Wenn du verstehst, was dein Gesprächspartner zu sagen hat, dann kannst du Fragen stellen, die eine wirkliche Nachricht (im journalistischen Bedeutungsrahmen) hervorbringen. Es scheint offensichtlich, aber viel zu oft wird nur nach Schema „F“ gefragt, daher hier noch einmal als Wiederholung zu Punkt 1: Recherchiere genau, was dein Gegenüber zu deinem Thema beizutragen hat, vielleicht schon mal irgendwo gesagt hat, gibt es Anknüpfungspunkte? Und – wichtig: Was ist die Zielgruppe, die Leser- oder Zuhörer:innenschaft des Interviews – welchen Wissenstand haben sie, was ist für sie daher neu?

  1. Definiere Fragen …

Zur Vorbereitung des Gesprächs ist ein vorab abgestimmter Fragenkatalog sinnvoll, er bringt Sicherheit und hilft allen Beteiligten, gut vorbereitet zu sein.

  1. … und dann vergiss sie wieder.

Ansonsten gilt – Lass dich von deiner Intuition, von deiner Neugier leiten. Ein lebendiges Interview entsteht, weil eine aufmerksame Gesprächsführerin eine Chance ergreift und nachhakt. Wie oft frage ich mich beim Lesen oder Hören eines Interviews: „Wie konnte er oder sie denn diese Steilvorlage nicht nutzen. Da „muss“ man doch nachhaken …“ (Diese Formulierung „da muss man doch…“ oder „man kann doch nicht …“ wäre einen eigenen Blog wert – mal sehen …:-))

Diese Vorgehensweise funktioniert allerdings nur, wenn sie fairerweise mit den Interviewpartner:innen abgesprochen ist. Triffst du auf ein unsicheres Gegenüber, das sich lieber an die vorgegebene Fragenliste hält, dann respektiere das unbedingt. Ich höre oft, dass es im „investigativen Journalismus“ darum gehe, Gesprächspartner in Sicherheit zu wiegen, um dann aus der Hüfte zuzustechen. Nach dem Motto – Die erste Frage ist die Wohlfühlfrage und dann wird´s ernst. Meins wäre das nicht.

Wichtig beim intuitiven Frage-Antwort-Spiel: Bleibe deiner Zielsetzung treu, verliere nicht den roten Faden, komm wieder auf den Punkt zurück und frage dich zwischendurch immer wieder, ob das Gespräch jetzt gerade nur noch dich interessiert oder schon noch für die Leser:innen aufgezeichnet wird.

  1. Höre zu.

Wie führt man ein Interview? Man stellt Fragen und lässt dann reden, oder? Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass es anders ist, dass auch und vor allem die Qualität des Zuhörens den Verlauf des Gesprächs maßgeblich bestimmt. (Siehe auch Punkt 4) Tiefes Zuhören ist eine Haltung, kein Trick. Sei ehrlich interessiert an dem, was dir gesagt wir. Egal ob es deins ist oder nicht – jetzt und hier sitzt dir genau dieser Mensch mit seinem Thema gegenüber und das hat einen Grund. Ob du den Grund jetzt schon erkennst, ist nicht wichtig. Hör zu. Lass die Weisheit des Lebens sich entfalten.

  1. Unterbrich!

Unterbrechen, ja oder nein? Ich meine: Jein. Eine Interviewpartnerin von mir schrieb mir dazu: „Ich finde das Ergebnis unseres Gesprächs sehr reich. Das liegt übrigens auch daran, wie Du nicht nur fragst, sondern auch zuhörst und dann daraus wieder etwas anbietest. Langsam, Raum gebend. Ich hatte ja schon einige Interviews und muss sagen, ich wurde oft unterbrochen, sodass ich meine Gedanken gar nicht abrunden konnte.“

In der wertfreien Konzentration auf unser Gegenüber merken wir, ob jemand noch nach Worten sucht, einer Idee nachhängt oder einen Gedanken rund machen will. Dann bitte: Nicht unterbrechen, Stille aushalten. (Fällt schwer, ich weiß!) Schweift jemand allerdings ab, erklärt gerade zum dritten Mal das Gleiche oder wir merken, dass jemand schwimmt und den Faden verloren hat, dann dürfen, sollten wir unbedingt unterbrechen und den Rettungsring schmeißen. Vielleicht in freundlicher Form einer kurzen Zusammenfassung, eingeleitet mit: „Verstehe ich es richtig, dass …“

  1. Präsentiere eure Ergebnisse angemessen

Interviews kann man als wörtlichen Dialog verschriften oder auch als nacherzählenden, straffenden Bericht. Im Bewusstsein, dass verschiedene Leser auf verschiedene Wahrnehmungskanäle zurückgreifen, wir also Menschen adressieren, die gerne lesen oder hören oder lieber ein Video schauen, ist meine Erfahrung, dass ein Darstellungsmix aus Bild, Ton und Text, wie ich ihn bei den „Gesprächen über Starke? Frauen“ gewählt habe, auf große Begeisterung stößt.

  1. Mein Bonus: Die Goodie-Frage

Jedes meiner Interviews endet seit vielen Jahren mit der Aufforderung: Welche Frage wollten Sie / wolltest Du schon immer beantworten, aber sie ist Dir/Ihnen noch nie gestellt worden? Hier fahre ich reiche Ernte ein!

 

Jetzt weißt du, wie ich meine Gespräche gestalte und ich hoffe, ein bisschen was von meinem Erfahrungswissen kann dich inspirieren. Wie solche Interviews dann gelingen, kannst du dir gerne hier in den Gesprächen über Starke? Frauen anschauen. Ansonsten gilt wie immer: Lies es, vergiss es und mach´s besser! Good luck und falls ich deiner Meinung nach etwas vergessen habe, schreib mir gerne!

* Ach so, die Sache mit dem Einhorn – wie heißt es so schön: Sei ganz du selbst. Außer du kannst ein Einhorn sein. Dann sei ein Einhorn.