Bist du eine Heldin? Ein Held? Nein, sagst du, ganz bestimmt nicht. Und du lachst. Ich lache auch und erwidere: Doch! Ganz bestimmt bist du es. Denn du hast ein einzigartiges Leben gelebt und du hast es gemeistert. Du bist trotz – nein, falsch – du bist wegen all der erlebten Krisen, Rückschläge und Katastrophen gewachsen und zu der fantastischen Person geworden, die du jetzt gerade bist. Du bist ein Held, eine Heldin, und du hast eine Reise hinter dir, von der andere Menschen lernen können.

Wem folgen wir gerne?

Solche Menschen wie dich brauchen wir gerade unbedingt, denn die Leader:innen dieser Zeit sind ganz normale Menschen, die beherzt ihre Ängste und Zweifel, ihr Straucheln, Schämen, Fallen und Wiederaufstehen mit uns teilen. Persönliche Wendepunkte, Krankheiten, durchlebte Krisen, Todesfälle – es scheint mutig oder sogar wagemutig, sich diesen Themen anzunähern und dann auch noch öffentlich, schreibend. Genau dieser Wagemut ist es, der die Gemeinschaft wachsen lässt. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich finde Menschen, die immer wissen wo´s langgeht, zum Gähnen langweilig. Solche, die den Überblick haben, deren Hals davon ganz lang geworden ist und die Augen starr. Wenn ich perfekt geschminkten Frauen zuhöre, die schon „mehrere siebenstellige Business gegründet haben“ (was auch immer das ist), dann wird mir ganz schwummerig, dann höre ich: „Ich kann es. Du kannst es nicht. Kauf jetzt diesen Kurs, dann kannst du es auch.“ Danke, aber nein danke. Ich brauche keine Vorausgeher:innen, die mich hinter sich herzerren – auf ihrem Weg, zu meinem Besten. Ich möchte Vorbilder haben, die ganz klar und eindeutig zu Vorbildern taugen, weil sie Menschen sind, weil sie neben und nicht über mir stehen. Solche wie die buddhistische Nonne Pema Cödrön, die Meditation lebt und lehrt und belustigt von einem Wutanfall berichtet, der sie kürzlich türenschlagend davonrauschen ließ. (Ich glaube, es war in diesem Video) So klar, so eindeutig und so menschlich. Das macht Mut und Freude, oder?

Memoir – Lebensbrüche sind das Thema

Solche Vorbilder finden wir in einem neuen Buch-Genre immer häufiger – im Memoir. Ein Memoir ist ein lebenserzählendes Sachbuch. Ein Erfahrungsbuch. Menschen schreiben Teile ihrer Lebensgeschichte auf, weil sie ihre Leserschaft am Umgang mit besonderen Lebenssituationen teilhaben lassen wollen. Szenisch und/oder in reflektierenden Passagen bearbeiten die Schreibenden ein wiederkehrendes Thema, eine Entwicklung. Manchmal (meistens?) geht es im Schreibprozess eines Memoir um das Ordnen der Geschehnisse, das Annehmen der neuen Situation und um die Sinnsuche. Daher ist die Zusammenarbeit mit einem Schreibbegleiter oder einer Biografin perse sinnvoll – wir schauen gemeinsam hin und finden den roten Faden, im leichten Frage-Antwortspiel werden Dinge erstmalig ausgesprochen und erfahren Klärung. Und gemeinsam lassen sich auch Schattenbereiche leichter erkunden, wir gehen Hand in Hand, dann sind wir mutiger. (Hier sind Memoir- und Biografiearbeit nicht so verschieden, auch im biografischen Schreiben ist immer die Persönlichkeitsentdeckung mit im Spiel)

Die meisten „meiner“ Autorinnen und Autoren haben schreibend ein Lebensthema weitergegeben, eine Botschaft an die folgende Generation herausgearbeitet. Sie möchten vor Schaden bewahren oder anfeuern, mehr zu wagen. Gemeinsam haben wir diese Botschaft vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte lebendig gestaltet. Dabei folgt das Memoir eigenen Regeln: Klassische Autobiografien bilden ein ganzes Leben ab. Lebensbücher – Memoire – fokussieren einen Abschnitt, einschneidende Erlebnisse oder wiederkehrende Leitmotive. Bücher, die auf diese Art entstehen, zeigen eine ganz persönliche Entwicklung im Umgang mit besonderen Lebenssituationen. Es sind die Lebensbrüche, um die es geht. Hier scheint das Licht durch. Hier wird es kostbar – wie im Kintsugi (Erklärung z.B. hier) sind es die Brüche, die ein Leben zur Besonderheit machen, nicht das glatte Porzellan.

Was suchen die Leser:innen?

Unsere aktuelle Zeitqualität scheint perfekt für Fortschritt und Evolution. Das Leben ist unglaublich lebendig, das Sein spürbar in seiner ganzen Bandbreite, wir kosten es aus und schmecken die Süße und das Bittere. Und ich nehme wahr, dass um mich herum immer mehr Menschen sich dazu bekennen, die Qualitäten des Lebens nicht mehr nach „gut“ und „schlecht“ zu unterteilen. Sie wollen ihre Angst nicht mehr ignorieren, genauso wenig wie ihre Freude. Sie merken, dass Glück in den Momenten greifbar scheint, in denen die Akzeptanz des Lebensflusses vollständig ist. Und ich glaube, das ist es, was die Leser und Leserinnen eines Memoir suchen – sie möchten gemeinsam mit den Schreibenden in den Lebensfluss steigen und sich davontragen lassen. Sie möchten sich identifizieren und sehen, wie andere mit den Untiefen, Strudeln, Wellen und Felsen des Lebens umgehen. Gerade, wer eine Krankheit, einen Todesfall erlebt hat oder sich vom Schicksal gebeutelt fühlt, sucht häufig Identifikationsmöglichkeiten. Es tut so gut, es ist so erleichternd zu sehen: Anderen geht es auch so. Ich bin nicht allein. Deswegen gehen Autor:innen von Memoirs oft und so gerne mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit und freuen sich auch über Lesungen, Interviews oder Communities – über das wachsende Gemeinschaftsgefühl eines mitfühlenden Wir.

Wie schreibt sich sowas?

Wer ein Memoir beginnen möchte, folgt zunächst der normalen Fragestellung eines Buchprozesses, wie ich sie auch in meinen Workshops vermittle. Und dann geht es natürlich darum, die Storyline entlang der wesentlichen Geschichten, der charakteristischen Themen, der wegweisenden Fragestellungen zu gliedern. Vielleicht nehmen wir zunächst nur zwei oder drei Elemente und spüren nach. Im Schreibprozess werden sich dann weitere Lebensthemen zeigen, die genau passend sind. Ein Memoir ist vielleicht etwas schwieriger zu schreiben als eine Biografie oder ein Sachbuch, weil wir immer wieder das Persönliche mit dem Kollektiven, das Private mit dem Allgemeinen abgleichen. Denn – wie schon geschrieben – es geht um eine authentische Vorbildfunktion, die ein Wir entstehen lässt. Wir wollen keine tollen Hechte oder grandiosen Überfliegerinnen an den Himmel des Zirkuszelts hängen. Wir bieten kein Chipskino für die staunende Menge, die letztlich nur froh ist, dass ihnen das alles nicht passiert ist. Lebensbücher sollen einladen – zum mitleben, mitfühlen und mitdenken.

Oft höre ich, dass ein Memoir zu persönlich sei, um es als Ghostwriterin oder Schreibcoach wirklich betreuen zu können. Ich finde, das der Schuh anders herum passt – genau weil es so persönlich ist, ist die Hilfestellung meist willkommen. Meine Gabe, mich einfühlend dem Stil und Ausdruck meiner Autor:innen weitgehend anzunähern, habe ich nun oft genug unter Beweis stellen dürfen und ich bin selbst immer wieder ganz überrascht, wie leicht es mir fällt. Und wenn dann meine Familie sagt – dieses Buch klingt überhaupt nicht nach dir, dann ist das ein großes Kompliment. Nein. Es klingt nicht nach mir. Und es ist auch nicht meins. Es ist Ihres. Deins. Deine persönliche Lebenserzählung. Dein Memoir.

Schau dir gerne einmal das Buch „Lebenzeit“ an. Hier verknüpfen sich gelebtes Leben und Yogaphilosophie zum perfekten Erfahrungsbuch, das ich als Co-Autorin betreuen durfte: www.yogajetzt.info