Ich bin vor zwei Wochen zu einem längeren Aufenthalt auf Mallorca der deutschen Kälte entflohen. Die Vorteile des Freelancing – ich arbeite überall, zur Zeit also mit Blick auf Dattelpalmen und Mandelblüte. Bei solchen Aufbrüchen leistet mir eine Liste, die in jahrelanger Sammelarbeit entstanden ist, gute Dienste. Deshalb möchte ich die essenziellen Punkte dieser Sammlung – weiter unten – mit Euch teilen. Schluss mit dem Frust im Ferienhaus, mit dieser Liste seid Ihr künftig immer bestens ausgestattet!
Und – ich wäre kein Textcoach, wenn ich diese Liste nicht zum Anlass nähme, mir mal generell Gedanken über die Listenflut im Internet zu machen. Gebt es zu, 10-Punkte-Listen sind (fast) unwiderstehlich. Warum ist das eigentlich so? Warum sprechen uns 3-Gründe-…, 5-Tipps-… oder 10-Verhaltensweisen-Listen so stark an und wie oft habt Ihr in letzter Zeit solche Beiträge geöffnet, gelesen und gelikt? Oft vermutlich, genau wie ich.
Gerade im Internet, aber auch vermehrt im analogen Lesen überfliegen wir Texte eher als sie aufmerksam zu lesen oder gar zu hinterfragen. Die Zeit drängt. Meistens ist das auch egal – Hauptsache es wird gelikt und geteilt – so hat zumindest der Absender sein Ziel erreicht: Reichweite. Im Contentmarketing machen Listen einen schlanken Fuß. Sie bieten den eiligen Lesern – und das sind die meisten – eine Lesehilfe durch gute Struktur. Die zentralen Informationen sind leicht auffindbar, nur ein paar Sekunden meiner Zeit sind nötig, dann habe ich mein Info-Fastfood konsumiert und zeige meinen Followern, dass ich up-to-date bin, indem ich die Liste mit ihnen teile. Viele Blogger, gerade solche, die mit Affiliate-Links Geld verdienen, bestätigen, dass Veröffentlichungen im Listenformat eher und öfter gelesen, geteilt und gelikt werden.
Schneller Einstieg in ein Thema
Die Aufmerksamkeitsspanne jedes einzelnen Menschen aber auch die Zeitdauer, die ein Thema in der öffentlichen Aufmerksamkeit bleibt, wird immer kürzer. Goldfische, so titelte Telepolis bereits 2015, haben mittlerweile eine längere Aufmerksamkeitsspanne als Menschen. Immer mehr Nachrichten, immer mehr Action, die Zahl der Medien steigt und wir wollen überall mithalten. Etwas verpassen, irgendwo nicht mitreden können? Nicht mit mir! Also nutzen wir Listen, um uns selbst und unsere LeserInnen bei der Stange zu halten. Mit diesen Aufzählungen lassen sich komplexe Sachverhalte auf einfache Punkte reduzieren. Listen liefern Expertenwissen in Kurzform, schaffen Einstieg in ein neues Thema, beantworten meine wichtigsten Fragen im Schnelldurchlauf. Deswegen sind sie so beliebt: Sie erleichtern die Aufnahme von Wissen für den Leser und gleichermaßen die Erstellung von Content für den Absender. Texterinnen oder gar Text-Coaches sind hier nicht gefragt: Listen kann jede/r. Außerdem bevorzugen Suchmaschinen Texte mit einer guten Struktur, auch SEO-technisch sind Listen also eins-a-superklasse.
Listen haben ihre Berechtigung
Listen sind toll! Sie lassen sich gut verbreiten, denn die Überschriften sprechen für sich, brauchen keinen Teaser. Der Leser kriegt, was er erwartet. Ideal für alle sozialen Medien, wo die Aufmerksamkeit in Millisekunden geweckt oder verpasst wird. Menschen lieben Listen, immer schon, sie sind kein Produkt der Digitalisierung. (Ja, genau, es gab ein Leben vor der Digitalisierung, erinnert Ihr euch, Einkaufslisten auf dem Block neben der Haustür?) Warum das so ist, hat ausgerechnet die Bildzeitung in einer, genau, 10-Punkte-Liste zusammengefasst:
- Weil die Menschheit schon immer Listen geliebt hat, zum Beispiel die 10 Gebote, die 7 Todsünden oder auch die 7 Weltwunder.
- Weil wir in unserer chaotischen Welt ohne Planung ab und zu einfach komplett überfordert sind.
- Weil Listen unser Leben gefühlt etwas übersichtlicher und vollkommener machen.
- Weil wir ordentliche Überschriften einfach nicht übersehen und ignorieren können.
- Weil sie, wenn wir sie Punkt für Punkt abstreichen können, uns versprechen, dass auch irgendwann einmal ein Ende in Sicht ist.
- Weil wir erst einmal alles ordentlich aufschreiben müssen, damit wir das Fensterputzen um weitere zehn Minuten verschieben können.
- Weil wir am Ende des Tages schwarz auf weiß sehen, dass wir uns ein Lob verdient haben.
- Weil wir mit Listen selbst Prioritäten setzen, nicht nur unser Chef und unsere Kinder…
- Weil wir Pflichten, die nicht auf der Liste stehen, mit gutem Gewissen auch mal ignorieren können.
- Weil auch wirklich wichtige Leute Listen führen: wie der Weihnachtsmann – oder Knecht Ruprecht.
Kognitive Leichtigkeit – warum unser Gehirn Listen liebt
„Der allgemeine Grundsatz lautet, dass alles, was Sie tun können, um die kognitive Beanspruchung des Lesers zu verringern, hilfreich ist“, schreibt Daniel Kahneman in seinem Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ im Kapitel „Wie man eine überzeugende Mitteilung schreibt“ (Seite 85 ff). Das gelingt (unter anderem) bei einer klaren Darstellung der Informationen. Klarheit schafft kognitive Leichtigkeit: Alles fühlt sich vertraut und gut an, erscheint mühelos und dadurch wahr.
Hinter dieser Behauptung steht Kahnemans Theorie, dass wir in zwei Systemen denken – System 1 ist der „Normalmodus“ – es arbeitet automatisch und schnell, weitgehend mühelos und ohne willentliche Steuerung. System 1 bevorzugt und glaubt alles, was ihm vertraut erscheint – deswegen liebt es Listen. Der Nachteil von System 1: Es wird massiv durch kognitive Verzerrungen beeinflusst, durch systematische Fehler. (Wer über diese Denkfehler, die wir alle täglich machen, mehr wissen will – und ich empfehle es ausdrücklich – sollte sich durch die 600 Seiten von Kahnemans Buch arbeiten). Zum Beispiel um das Buch von Kahneman zu lesen und zu verstehen, benötigen wir System 2 – es springt immer dann ein, wenn kognitive Beanspruchung lauert, ein Problem besteht. System 2 wird mobilisiert, wenn eine Frage auftaucht, für die System 1 keine Antwort bereitstellt. System 2 übernimmt, wenn es schwierig wird und hat normalerweise das letzte Wort, erläutert Kahneman.
Daraus resultiert eine ganz essenzielle Schlussfolgerung für alle, die Informationen für LeserInnen aufbereiten – für alle Autoren, Texterinnen, Content-Manager und Marketingstrateginnen: Wer möchte, dass Leser oder Zuhörerinnen Inhalte nicht nur konsumieren, sondern darüber nachdenken, sollte es ihnen nicht zu einfach machen! Wer also den Anspruch hat, mit seinen Texten etwas im Leser zu bewegen, sollte dafür sorgen, dass der Leser sich bewegen muss. Denn erst die kognitive Beanspruchung führt dazu, dass System 2 sich einschaltet. Wenn wir also wollen, dass jemand mitdenkt, machen wir es ihm schwerer, damit System 2 anspringen muss. Das ist das zentrale Argument gegen Listen!
Ein Beispiel für diese Behauptung liefert Shane Frederick mit seinem bekannten Cognitive Reflection Test (CRT). Er stellte einer Gruppe von Studenten verschiedene Aufgaben. Ein Teil der Studenten sah die Aufgaben in einer kleinen Schrift und schlechtem Druckbild – lesbar, aber die Schrift erzeugte eine hohe kognitive Beanspruchung. Die Ergebnisse, so schreibt es Kahnemann, lassen an Klarheit nichts zu wünschen übrig. 90 Prozent der Studenten, die den CRT in normaler Schrift sahen, machten bei dem Test wenigstens einen Fehler, während dieser Prozentsatz auf 35 Prozent fiel, wenn die Schrift kaum lesbar war. Ja, Ihr lest richtig: Bei der schlechten Schrift war die Leistung besser, denn eine starke kognitive Beanspruchung mobilisiert, unabhängig von der Ursache, System 2 und führt dazu, dass wir über ein Problem länger und tiefer nachdenken.
Zusammengefasst: Wer seinen Lesern ein gutes Gefühl schaffen und Inhalte leicht und „fluffig“ vermitteln will– der/die setzt auf Listen. Im Contentmarketing und im SEO sind Listen super. Möchten wir dagegen mit unseren LeserInnen ein Thema in der Tiefe erarbeiten, sollten wir es ihnen schwerer machen, denn erst die kognitive Beanspruchung schafft Aufmerksamkeitstiefe. Es lebe der Fließtext und der Schachtelsatz erlebt seine wohlverdiente Renaissance.
Jetzt habt Ihr so lange durchgehalten, hier nun die Liste der 10 Dinge, die (fast) nie in Ferienhäusern sind:
- Genügend Kleiderbügel (und meistens noch 7 verschiedene)
- Scharfe Messer (und/oder Tomatenmesser erst recht nicht)
- Eine Schere (ist mir jetzt schon zweimal passiert)
- Alles rund ums Frühstücksei (Eierbecher, Plastikeierlöffel, Eierpikser, ein kleiner Salzstreuer)
- Wäscheklammern / eine Wäscheleine
- Handfeger
- Seifenablagen in der Dusche und Duschvorleger
- Aufbewahrungshilfen: Beutel / Gummibänder / Tupperdosen…
- Vergrößerungsspiegel (für die Dame über 50 ????)
- Tischdecken oder -sets
- Und ein Schreibtisch inklusive bequemem Bürostuhl ist auch selten in Ferienhäusern. Dafür gibt es dann so tolle Coworking-Spaces wie z.B. das Rayaworx in Santanyi.